Viele Arbeit für die Post: 800 Briefe, 41 Stockwerke
Jan Kothe ist Postbote im höchsten deutschen Wohnhaus. Das hält fit: Die Briefkästen sind auf den Etagen verteilt.
Köln. Wenn der Postbote Jan Kothe (38) morgens seine Sendungen sortiert, hat er bis zu 800 Briefe und Zeitschriften mit derselben Adresse: An der Schanz 2, 50735 Köln. Es ist die Adresse des höchsten deutschen Wohnhauses — oder präziser: des höchsten hauptsächlich zu Wohnzwecken genutzten Gebäudes in Deutschland. Dort die Post zu verteilen, ist eine ganz schöne Arbeit. Denn die Briefkästen der 352 Wohnungen sind nicht unten am Eingang. Sie sind auf den 41 bewohnten Etagen — insgesamt sind es 45 — verteilt.
Kothe geht deshalb wie folgt vor: Zuerst sortiert er die Briefe in acht Packen, immer einen für jeweils fünf Etagen. Am Hochhaus eingetroffen, lädt er die Packen in einen Supermarktwagen um. Damit steigt er in den Aufzug und fährt nach oben. Alle fünf Etagen hält er an und wirft einen Packen auf den Flur. In der 41. Etage angekommen, beginnt er mit dem Verteilen. Von jetzt an wird er zu Fuß gehen. „Für jeweils eine Etage den Aufzug zu nehmen, lohnt sich nicht.“
Das Haus ist mit 155 Metern nur wenige Meter niedriger als der Kölner Dom. Die Aussicht ist natürlich fantastisch, allerdings für Kothe eher theoretisch. Nur an zwei Stellen kann er rausgucken, aber nach Osten, auf die „Schäl Sick“, die falsche Seite von Köln. Den Dom-Blick haben nur die Leute, die hier wohnen. Kothe hat ihn in zehn Jahren noch nie gehabt. Und mal jemanden fragen, ob er kurz gucken darf, will er nicht. „Die wären bestimmt nicht begeistert.“
Kothe arbeitet diskret. Manchmal spricht man im Aufzug miteinander. „So in der Art: ,Na, ist heute wieder viel?’ Das war’s dann aber schon.“ Dabei kennt Kothe die Bewohner besser als sie sich vielleicht klarmachen. Er weiß von jedem, auf welcher Etage er wohnt, welche Nachbarn er hat, welche Zeitschriften er bezieht. Wenn er die Sendungen einwirft, muss er keinen Moment überlegen.
Jan Kothe über das Verteilen der Briefe in dem Hochhaus
Probleme hat er, wenn Leute innerhalb des Hauses umziehen, was vorkommt: Man strebt hier nach oben. Nach solch einem Umzug fällt es Kothe schwer, einen Namen, den er etwa jahrelang fest mit Stockwerk 23 verbunden hat, auf 38 umzubuchen.
Die zweite Schwierigkeit: Im 40. und im 24. Stock wohnen zwei Frauen mit identischen Namen. Da kann er dann natürlich nichts machen: Gleicher Name, gleiche Adresse. Zum Glück sind die beiden unkompliziert: „Die tauschen miteinander.“
Das Hochhaus wirkt von innen wie ein Hotel. Lange Gänge, viele Türen und Teppiche im Flur. Alles mit dem Charme der 70er Jahre. An den Aufzügen gibt es noch Aschenbecher. Der Briefkasten ist eingeteilt in ein kleineres Fach, an das man ohne Schlüssel nicht rankommt, und ein größeres, das man aufklappen kann. Das war für Brötchentüten gedacht, die Anfang der 70er Jahre noch ins Haus geliefert wurden.
Über das schon etwas abgewrackte Treppenhaus arbeitet sich Kothe Stockwerk für Stockwerk nach unten. „Das Schöne ist, dass man seine Ruhe hat“, sagt er. Alle fünf Etagen sammelt er wieder ein Briefbündel ein, das er aus dem Aufzug dort abgelegt hat.
Nach einer Stunde steht er wieder unten und blickt an der schwindelerregend hohen Betonfassade hinauf. „Wenn’s stürmt, schwankt es da oben“, sagt er. Aber doch etwas unangenehm. Trotz Sauna und Schwimmbad: Selber wohnen wollte er da nicht.