Viele offene Fragen im Missbrauchsskandal von Ameland
Über die Missbrauchsfälle auf der Ferieninsel Ameland waren in den vergangenen Tagen viele Details zu lesen und zu hören. Obwohl der Fall klar zu sein scheint, haben die Ermittlungsbehörden ihre Arbeit aber noch lange nicht abgeschlossen.
Osnabrück. Die Missbrauchsfälle unter Jugendlichen auf derniederländischen Ferieninsel Ameland sind ein großes Thema. Seit rundeiner Woche vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in Zeitungen undFernsehsendungen bundesweit über die schrecklichen Taten berichtetwird.
Doch so viele Details mittlerweile auch bekanntgeworden sind:Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft sind weit davonentfernt, schon abgeschlossen zu werden.Was in den beiden Wochen vom 25. Juni bis zum 8. Juli imSchlafsaal des Hauses "Silbermöwe" unter den 13 bis 15 Jahre altenJugendlichen geschehen ist, steht fest.
Ältere Jugendliche haben die"Kleinen" in die Mitte des Saales gezerrt, ihnen die Hoseheruntergezogen und versucht, ihnen Colaflaschen oder Besenstiele inden Po zu schieben. Nach einer Sadomaso-Sexualpraxis nannten dieÄlteren diese Gewalttaten "Fisting" (von engl. fist für Faust).Bislang stehen acht Opfer und acht Tatverdächtige fest.
DieVorwürfe lauten auf schweren sexuellen Missbrauch oderVergewaltigung. So viel also ist klar. Keine Antwort gibt es nach wievor auf die Frage, was die Betreuer wussten und weshalb sie nichteingriffen.Nach Aussage der bislang vernommenen Jugendlichen aus dem Schlafsaal seien die Betreuer sehr wohl auf die schlimmen Gewaltexzesse angesprochen worden.
Diese hätten nicht oder nicht ausreichend reagiert, schildert der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Alexander Retemeyer, den bisherigen Erkenntnisstand. Befragt worden seien die Betreuer bislang aber nicht. Das solle erst geschehen, wenn alle Kinder aus dem Schlafsaal vernommen worden sind.
"Das Problem ist, die Polizei muss erst den Status abklären, alsoklären, ob jemand Zeuge ist oder Beschuldigter", erläutert Retemeyer.Klarheit könne erst dann herrschen, wenn sämtliche 39 Jugendlichenaus dem Haus "Silbermöwe" vernommen worden seien.Bis zum Ende der Sommerferien in Niedersachsen in der kommenden Woche wollen die Beamten damit durch sein, sagt Polizeisprecher Georg Linke.
Die Beamten stehen vor einem riesigen Berg Arbeit: Für jedes Opfer, jede Tat und jeden Tatverdächtigen müsse genau geklärt werden, wer was wann gemacht habe. "Das ist nicht ganz einfach, weil unterschiedliche Täter in unterschiedlicher Besetzung zusammengewirkt haben", erläutert Linke.Es gibt aber noch andere Ungereimtheiten.
Unter den Jugendlichen im Haus "Silbermöwe" habe es anscheinend eine klare Hierarchie gegeben, erläutert Retemeyer. Als sich einer der Jüngeren in der Jugendgruppe Dinge geleistet habe, die ihm nach Ansicht der Älteren nicht zustanden, sei das der Anlass für die Gewalttaten gewesen. So zumindest stellen es die Jugendlichen in den Vernehmungen dar. Die Ermittler sehen hier aber noch ungeklärte Fragen.
"Ob das so stimmt, können wir noch nicht sagen", sagt Retemeyer. "So ein bisschen haben wir den Eindruck, dass die Größeren diese Taten schon im Vorfeld der Freizeit im Auge hatten."Vieles spreche dafür, dass die Rädelsführer schon vor der Ferienreise Infos über die "Fisting"-Praktiken hatten. Immerhin sei diese Gruppe auf Ameland unter dem Namen "Die Analindianer der Fist- Prärie" aufgetreten.
"Die Kinder haben sich diesen Namen gegeben, die müssen das irgendwie von zu Hause mitgebracht haben", sagt Retemeyer.Ob es seitens des Stadtsportbundes Osnabrück jemals wieder eine Ferienfreizeit auf Ameland gibt, steht noch nicht fest. Wenigstens im nächsten Jahr will der Verein darauf verzichten.
Unabhängig von den Osnabrücker Geschehnissen arbeitet der Landessportbund (LSB) Niedersachsen an einem Zehnjahresprojekt über sexualisierte Gewalt im Sport. Das Projekt umfasse die drei Schwerpunkte Prävention, Intervention und die Verstärkung von Handlungskompetenzen, hatte LSB- Direktor Reinhard Rawe in dieser Woche angekündigt. Ergebnisse sollen in der zweiten Augusthälfte vorgestellt werden.