Von China bis Kassel - Kultur-Highlights 2012

Berlin (dpa) - Triumphe und Niederlagen, Freude und Trauer lagen auch im vergangenen Jahr in der Kulturwelt nah beieinander.

Der Literaturnobelpreis für den chinesischen Schriftsteller Mo Yan, der Streit um den Suhrkamp-Verlag und die auch international viel beachtete 13. documenta gehörten zu den großen Themen in den Feuilletons. Die dpa erinnert an die zehn wichtigsten Ereignisse des Kulturjahres 2012:

1. NOBELEHREN FÜR CHINA: Selten war der Literaturnobelpreis so umstritten wie bei der diesjährigen Vergabe an den Chinesen Mo Yan. Der 57-Jährige löste international Empörung aus, als er kurz vor der Verleihung die Zensur in China mit lästigen, aber unausweichlichen Sicherheitskontrollen auf Flughäfen verglich. Die Kritik wies er als „Schmutzwasser“ zurück. In Deutschland sind etwa seine Romane „Die Knoblauchrevolte“, „Die Schnapsstadt“ und „Das rote Kornfeld“ bekannt. Mo Yans Landsmann Liao Yiwu, der seit 2011 in Berlin im Exil lebt, wurde mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Den Georg-Büchner-Preis erhielt die Berliner Schriftstellerin Felicitas Hoppe, den Deutschen Buchpreis die ebenfalls in Berlin lebende Autorin Ursula Krechel.

2. OSCAR FÜRS SCHWEIGEN: Der französische Stummfilm „The Artist“ von Michel Hazanavicius konnte bei den Oscars gleich fünf „Goldjungen“ einheimsen, darunter als bester Film und für Hauptdarsteller Jean Dujardin. Die Auszeichnung als beste Schauspielerin erhielt Meryl Streep für ihre Margaret Thatcher in „Die Eiserne Lady“. Der deutsche Filmemacher Wim Wenders ging mit seinem 3D-Tanzfilm „Pina“ leer aus. Den Deutschen Filmpreis bekam dieses Jahr Andreas Dresen für sein Krebsdrama „Halt auf freier Strecke“. Der österreichische Regisseur Michael Haneke wurde für sein Altersdrama „Liebe“ in Cannes mit der Goldenen Palme und beim Europäischen Filmpreis auf Malta gleich vierfach geehrt.

3. REKORD FÜR DOCUMENTA: Die documenta in Kassel zog mit 860 000 Besuchern so viele Menschen an wie noch nie. Bei der 13. Ausgabe der weltweit wichtigsten Schau für zeitgenössische Kunst zeigten fast 300 Teilnehmer an mehr als 60 Orten ihre Werke. Die künstlerische Leiterin, Carolyn Christov-Bakargiev, wurde danach vom britischen Kunstmagazin „ArtReview“ zur einflussreichsten Person im internationalen Kunstbetrieb 2012 gewählt. „documenta 13 hat den Künstlern erlaubt, für sich selber und durch ihre Arbeit zu sprechen und ihre eigenen Regeln zu machen“, hieß es zur Begründung.

4. REKORDPREISE FÜR KUNST: Edvard Munchs Gemälde „Der Schrei“ wurde in New York für eine Rekordsumme von umgerechnet rund 90 Millionen Euro versteigert - der höchste Auktionspreis aller Zeiten. Weitere Rekorde gab es etwa für ein Seerosenbild von Claude Monet (34 Millionen Euro), das Pop-Art-Bild „Sleeping Girl“ von Roy Lichtenstein (knapp 35 Millionen Euro) und Gerhard Richters „Abstraktes Bild“ aus dem Besitz von Gitarrist Eric Clapton (gut 26 Millionen Euro). Zumindest „Der Schrei“ bleibt der Allgemeinheit noch etwas erhalten: Das berühmteste Bild nach der „Mona Lisa“ ist bis 29. April 2013 im New Yorker MoMA zu sehen.

5. LOB FÜR THEATER: Das einstige Berliner Off-Theater Hebbel am Ufer (HAU) wurde zum Theater des Jahres gekürt - eine Art Abschiedsgeschenk an Intendant Matthias Lilienthal. Er gab die Leitung der drei Häuser zum Ende der Spielzeit an Annemie Vanackere ab. Opernhaus des Jahres wurde Köln. Die befragten Kritiker hielten jedoch die monatelange Schlammschlacht mit dem inzwischen gefeuerten Intendanten Uwe Eric Laufenberg um die Finanzen gleichzeitig für das größte Ärgernis der Saison.

6. ROSENKRIEG BEI SUHRKAMP: Der Streit zwischen Suhrkamp-Chefin Ulla Unseld-Berkéwicz (61 Prozent) und dem Minderheitsgesellschafter Hans Barlach (39 Prozent) eskaliert. In einer sensationellen Entscheidung beruft das Landgericht Berlin die Verlegerin als Geschäftsführerin ab - Barlach hatte ihr wegen der Anmietung von Event-Räumen in ihrer eigenen Villa die Verquickung von Geschäftlichem und Privatem vorgeworfen. Unseld-Berkéwicz will zunächst die Berufung abwarten. In der alten Verlagsheimat Frankfurt läuft zudem ein Verfahren, das in der Auflösung des Verlags enden könnte.

7. ÄRGER UM GRASS. Literaturnobelpreisträger Günter Grass löste mit seinem Israel-kritischen Gedicht „Was gesagt werden muss“ eine wochenlange erregte Debatte aus. Er warf Israel vor, mit seinen Atomwaffen den ohnehin brüchigen Weltfrieden zu gefährden. Israel sprach ein Einreiseverbot aus. Die Schwedische Akademie sah gleichwohl keinen Anlass, dem Autor den Literaturnobelpreis abzuerkennen. Auch blieb er Ehrenpräsident des Deutschen PEN. Für eine Diskussion ganz anderer Art sorgte das Buch „Der Kulturinfarkt“, in dem vier Experten die Schließung der Hälfte aller subventionierten Theater und Museen forderten.

8. WELTERBE FÜR BAYREUTH: Die Unesco nahm im Sommer überraschend die Geburtskirche von Jesus in Bethlehem neu in ihre Liste einzigartiger Schätze der Menschheit auf. Der Antrag kam von den Palästinensern, Experten hatten keine Empfehlung dafür gegeben. Aus Deutschland schaffte es das Markgräfliche Opernhaus Bayreuth auf die renommierte Liste, die Kurfürstliche Residenz in Schwetzingen wurde abgelehnt. Weltweit tragen jetzt 962 Stätten den begehrten Welterbe-Titel, davon 37 in Deutschland. Demnächst haben auch deutsche Bräuche wie das Oktoberfest oder die Thüringer Kloßkunst Chancen, unter Unesco-Schutz zu kommen: Das Kabinett beschloss nach jahrelangem Zögern den Beitritt zu dem entsprechenden Abkommen der Weltkulturorganisation.

9. RUSSEN UND DEUTSCHE: Mit einem Russlandjahr in Deutschland und einem Deutschlandjahr in Russland haben beide Seiten ihre kulturellen Beziehungen ausgebaut. Höhepunkt war die Ausstellung „Russen & Deutsche. 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur“, die zunächst in Moskau und dann in Berlin zu sehen war. Auch China stellte sich mit einem Kulturjahr in Deutschland vor - Motto: ChiNah. Der damalige Bundespräsident Christian Wulff nutzte den Auftakt, Peking zu einem demokratischen Umgang mit Künstlern zu mahnen.

10. TOTE DES JAHRES: Erneut hat die Kunst- und Kulturszene prägende Persönlichkeiten verloren. Der „Jahrhundertsänger“ Dietrich Fischer-Dieskau, der wohl bedeutendste Vertreter des romantischen Liedgesangs („Winterreise“), starb kurz vor seinem 87. Geburtstag am Starnberger See. Die Psychoanalytikerin und Frankfurter Autorin Margarete Mitscherlich („Die Unfähigkeit zu trauern“) folgte ihrem 1982 verstorbenen Mann Alexander mit 94 Jahren. Auch Komponist Hans Werner Henze (86), Filmregisseur Kurt Maetzig (101), Theaterregisseur Thomas Langhoff (73), Sopranistin Lisa Dalla Casa (93) und die Jazz-Legende Dave Brubeck (91) starben.

Als besonders tragisch galt der Tod von Schauspielerin Susanne Lothar. Die Witwe des Ausnahmedarstellers Ulrich Mühe starb unerwartet im Alter von 51 Jahren in Berlin. Ihr Kollege Ulrich Tukur, der oft mit ihr gemeinsam auf der Bühne gestanden hatte, würdigte sie als wunderbare Schauspielerin. „Es war immer sehr viel Verzweiflung in dem, was sie gemacht hat“, sagte er in einem Interview. „Auf der Bühne war sie toll, aber im Leben hat das nicht funktioniert.“