Von der Bühne ins Straflager
Der ehemalige Tanzstar am Bolschoi, Pawel Dmitritschenko, hat den Säureanschlag auf den Ballettchef des berühmten Hauses in Auftrag gegeben.
Moskau. Als grausamer russischer Zar in dem Ballett „Iwan der Schreckliche“ hat der Startänzer Pawel Dmitritschenko am Moskauer Bolschoi Theater seinen letzten großen Bühnenerfolg gefeiert. Als er am Dienstag den Gerichtssaal in Moskau verlässt, sieht er müde aus. Der Glanz ist weg. Er geht als Verurteilter. Dmitritschenko ist, wie Richterin Jelena Maksimowa sagt, schuldig, den international beachteten Anschlag mit Schwefelsäure auf Ballettchef Sergej Filin organisiert zu haben. Sechs Jahre Straflager lautet das Urteil.
Der 29-Jährige bekennt zwar, dass er verantwortlich sei für das Attentat — auch wenn er die Folgen nicht abgesehen, nicht gewollt habe. Der Familienvater Filin hat ein bis heute von den Verätzungen gezeichnetes Gesicht. Zum Schutz für die stark geschädigten Augen trägt er eine dunkle Brille. Seine Sehkraft ist extrem eingeschränkt, wie auch deutsche Ärzte der Augenklinik in Aachen bestätigt hatten. Dort lässt sich Filin weiter behandeln.
Es ist der Schlussakt in einem Ballettdrama, wie es sich Theaterschaffende vielleicht in der Fantasiewelt auf der Bühne, aber nicht im wirklichen Leben vorstellen konnten. Das monatelange Gerichtsverfahren offenbarte eine Schlangengrube am größten Staatstheater Russlands. Der Konflikt zwischen dem Ballettchef Filin und dem Tänzer Dmitritschenko war demnach nur einer von vielen. Immer wieder ging es darum, dass Tänzer oft mit fragwürdigen Mitteln um Rollen, hohe Gagen und Gastspiele im Ausland kämpfen.
Der Konflikt der Männer, das führt Richterin Maksimowa aus, drehte sich auch um Ballerina Angelina Woronzowa. Sie ist Dmitritschenkos Gattin — und eine Tänzerin, auf die Filin vor ihrer gemeinsamen Zeit am Bolschoi ein Auge geworfen hatte. Woronzowa, so wollte es der Solist Dmitritschenko, sollte den Schwan im Klassiker „Schwanensee“ tanzen. Filin stellte Bedingungen für diese Traumrolle jeder Ballerina.
Aus Frust über den Führungsstil seines Chefs, der entscheidet, wer die begehrtesten Partien tanzt, gab Dmitritschenko laut Urteil Zufallsbekannten den Auftrag, Filin eins auszuwischen. Dass der arbeitslose Haupttäter zu Schwefelsäure greifen würde, habe er aber nicht gewusst, beteuert er. Auch deshalb hält er die Strafe für überzogen.