Wagner-Jubiläumsjahr geht zu Ende
Bayreuth (dpa) - Opern, Konzerte, Bücher, Vorträge, Feierstunden - Richard Wagner, der wohl umstrittenste, aber womöglich gerade deshalb faszinierendste deutsche Komponist, hielt die Kulturwelt im Jahr 2013 in Atem.
Es galt ja, seinen 200. Geburtstag zu feiern.
Ob seine Geburtsstadt Leipzig, seine Wirkungsstätte Bayreuth oder seine Schweizer Lebensstationen: vom Kuchen wollte jeder etwas abhaben. Jedes Opernhaus, das etwas auf sich hielt, hievte mindestens ein Wagner-Werk ins Programm. Doch was bleibt am Ende des Reigens? „Wagner ist dabei, normal zu werden“, sagt Sven Oliver Müller. Der Historiker leitet eine Forschungsgruppe über Musik und Emotionen am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin.
Zum Wagnerjahr hat er beschrieben, warum Wagner in all den Jahren die Gesellschaft nicht kalt gelassen hat („Richard Wagner und die Deutschen. Eine Geschichte von Hass und Hingabe“, Verlag C.H.Beck). Warum zwischen Hass und Hingabe die Emotionen aufwallen, wenn es um den Schöpfer der monumentalen Tetralogie „Ring des Nibelungen“ geht. Warum die Mächtigen sich seiner bemächtigten. Dass Hitler Wagner verehrte, gehört zum Grundwissen der Kulturgeschichte der Deutschen und hat sich auch international ins Gedächtnis eingebrannt. Woody Allen prägte einst den Satz, er verspüre bei Wagners Musik den Drang, in Polen einzumarschieren.
„Wagner verwandelt sich mit der Gesellschaft. Das ist seine Stärke und sein Problem“, sagt Müller. Die aktuelle Wagnerrezeption passe sich der modern denkenden, pluralistischen und offenen Gesellschaft an. Widersprüchliche Inszenierungen führten nicht mehr zu Skandalen und Aufschreien. In den 1970er Jahren war das noch anders. Müller denkt hier natürlich an den legendären Bayreuther „Ring“ von Patrice Chéreau (1944-2013), der zunächst wütende Proteste auslöste.
Bei Wagner habe damals eine tiefe Erregung eine Rolle gespielt - bei Anhängern genauso wie bei Gegnern. „Das erklärt die Erregungsspirale, die sich bis in die 80er Jahre hinein hochgeschraubt hat“, sagt Müller. Und heute? „Man erregt sich immer weniger.“ Wagner werde überall gespielt, zugleich werde auch die dunklen Seiten - nämlich der Antisemitismus des Komponisten und seine Rezeption in der NS-Zeit - erinnert.
„Das ist ein kluger Prozess der Erinnerungskultur“, findet der Wissenschaftler. Diese Normalität macht Müller auch daran fest, dass es mittlerweile Merchandising-Artikel zu Wagner gibt, dass bei der jährlichen Eröffnung der Bayreuther Festspiele mehr über die Garderobe der Kanzlerin getratscht als über die Inszenierung gesprochen wird. Und dass ein paar Jahre lang beim Public-Viewing in Bayreuth Wagner in Shorts und T-Shirts genossen wurde.
Überhaupt Bayreuth: Die Richard-Wagner-Festspiele, Deutschlands bekanntestes Klassik-Festival, brachten zum Jubiläumsjahr einen neuen „Ring“ auf die Bühne. Frank Castorfs wild-verwegene Deutung des Stoffs mit Filmteam und Live-Videos auf der Bühne war die prominenteste Wagner-Neuinszenierung 2013. Ja, es gab Buhrufe und pfeifendes Publikum. Es gab aber auch Applaus und wohlwollende Deutungen in den Feuilletons, zumal Dirigent Kirill Petrenko hervorragende Arbeit leistete.
Aber ein Jahrhundert-„Ring“ wie einst Chéreau ist Castorf sicherlich nicht gelungen. Man wartet schon wieder auf den nächsten Knaller in Bayreuth: Jonathan Meese, der umstrittene Performance-Künstler, der wegen der Verwendung nationalsozialistischer Symbole in der Kunst vor Gericht stand, soll 2016 „Parsifal“ inszenieren.
Wagner, so sagt es Sven Friedrich, der Chef des Bayreuther Richard-Wagner-Museums, brauche eigentlich gar kein Jubiläumsjahr. „Das Kulturphänomen Richard Wagner hat vor 2013 stattgefunden und wird es auch ab 2014 weiter tun.“