Wahl zum EKD-Ratsvorsitz: Mit Gottvertrauen ins Ungewisse
EKD-Ratsvorsitz: Nikolaus Schneider könnte am Dienstag zum Nachfolger von Margot Käßmann gewählt werden.
Düsseldorf. Nikolaus Schneiders größter Bonus ist vermutlich seine Ausstrahlung. Sie hat etwas von einer im Glauben wurzelnden Unerschütterlichkeit vor den Wechselfällen des Lebens. Dass dieses Leben nicht planbar ist, hat der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland mehrfach selbst erfahren. Und diese Erfahrung scheint ihn doppelt gefestigt zu haben: Unerwartetes anzunehmen, ohne den inneren Kompass zu verlieren; ein klares Bekenntnis abzulegen, ohne zu eifern.
Als Schneider vor einem Jahr in Ulm zum Stellvertreter von Margot Käßmann an die Spitze des EKD-Rates gewählt wurde, hatte niemand auf der Rechnung, dass er eines Tages deren Nachfolger werden könnte. Zu austariert schien das neue protestantische Spitzenduo: Vorn die Bischöfin der größten deutschen Landeskirche, die die Menschen weit über den kirchlichen Raum hinaus bewegt. Dahinter der ihr kollegial und loyal verbundene Präses der zweitgrößten Landeskirche, der seine Schwerpunkte eher im Innerkirchlichen wählt.
Vier Monate und eine Alkoholfahrt später stellt Käßmanns Rücktritt die Verhältnisse auf den Kopf. Und Schneider weicht nicht aus. Als amtierender Vorsitzender macht er sich unaufgeregt daran, das riesige Loch zu stopfen, das Käßmanns Rückzug hinterlassen hat. Und erhält dafür den Segen des EKD-Rates. Man wünsche sich Schneider als künftigen Vorsitzenden, heißt es nach einer Krisensitzung.
Das ist allerdings wirklich nur ein Wunsch. Wenn die Synode am Dienstag den Nachfolger von Margot Käßmann bis 2015 wählt, ist sie in ihrer Entscheidung frei. Alles andere als eine Wahl Schneiders wäre aber eine Riesenüberraschung. Dass diese Wahl ausgerechnet in Hannover erfolgt, dem früheren Amtssitz Käßmanns, ist die Ironie des Zufalls. Der Schatten der beliebten Ex-Bischöfin ist groß; nicht nur auf dem Kirchentag in München war spürbar, wie viele Menschen sich immer noch ihre Rückkehr an die Spitze der EKD wünschen.
Es spricht für Schneider, dass ihm in den acht Monaten seit ihrem Rücktritt nie auch nur ein Anflug von Neid anzumerken war. Käßmann ist Käßmann und ich bin anders - das klingt bei ihm nicht trotzig, sondern eben: gefestigt. Und dass ein 63-jähriger Mann weniger Aufbruch symbolisiert als eine elf Jahre jüngere Ratsvorsitzende, die dieses Amt zudem als erste Frau überhaupt bekleidete, ist ihm nicht anzulasten. Aufbruchpersonal ist nicht beliebig rekrutierbar.
Wenn Schneider wirklich der gewählte Spitzenrepräsentant des deutschen Protestantismus sein sollte, wird es keine Abkehr vom bisherigen Kurs geben, aber eigene Akzente. Schneider, der von ganzem Herzen Seelsorger ist, wird sich bemühen, den bereits angestoßenen Reformprozess so in die Gemeinden zu transportieren, dass bei aller Anpassung der Kirche an die geänderten Rahmenbedingungen die christliche Hoffnungsbotschaft nicht auf der Strecke bleibt.
Und der Stahlarbeitersohn mit atheistischem Elternhaus wird gerade in Fragen sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit aus seinem Bibelverständnis heraus deutlich Position beziehen: in jener Mischung aus Warmherzigkeit im Umgang und Klarheit in der Sprache, wie sie in dieser Form nur aus dem Ruhrgebiet stammen kann.