Weg vom Klischee: Deutschstunde im British Museum
London (dpa) - Über die Erinnerung in die Zukunft schauen - das ist das Motto einer bahnbrechenden Ausstellung über 600 Jahre deutscher Geschichte, die an diesem Donnerstag (16. Oktober) im British Museum in London eröffnet wird.
„Germany - Memories of a Nation“ hat zum Ziel, das herkömmliche Deutschlandbild der Briten 25 Jahre nach dem Mauerfall von Klischees zu befreien. Dazu hat Museumsdirektor Neil MacGregor rund 200 Objekte zusammengetragen, anhand derer die wechselvolle und „gebrochene“ Geschichte Deutschlands erklärt wird.
Mit der immer noch weit verbreiteten Ansicht, deutsche Geschichte nur aus dem Blickwinkel der Nazi-Zeit zu sehen, müsse aufgeräumt werden, sagte MacGregor. „Für die meisten Menschen auf der Welt beschränkt sich die Geschichte auf 12 Jahre, 12 schreckliche Jahre.“ Aber zur „uneinheitlichen“ deutschen Geschichte gehörten die großen Errungenschaften von Gutenberg, Dürer und Goethe ebenso wie die „Katastrophen des Dritten Reichs und des Holocaust.“
Diese Komplexität der „gebrochenen“ Geschichte Deutschlands werde häufig im Ausland, und besonders in Großbritannien, nicht genügend verstanden. „Deutschland nutzt seine Geschichte, um in die Zukunft zu schauen, Großbritannien, im Großen und Ganzen, nutzt seine Geschichte, um die Vergangenheit wachzuhalten“, sagte MacGregor in einem dpa-Interview.
Nicht zuletzt, so wird in der Ausstellung thematisiert, könne das Heilige Römische Reich als eine Art Vorläufer der heutigen Europäischen Union betrachtet werden. Kleinstaaterei und Rivalität hätten zudem Wettbewerb, Kreativität und Kompromissbereitschaft gefördert.
Die Auswahl der Exponate, darunter zahlreiche Leihgaben aus den Staatlichen Museen zu Berlin, folgt dem von MacGregor bereits in seinem Bestseller „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ angewandten Muster, Geschichte anhand von Objekten zu erzählen. Die in der Ausstellung in Room 35 gezeigten rund 200 Exponate reichen denn auch von einer Replik der Krone von Karl dem Großen über die Gutenberg-Bibel und Tischbeins berühmtes Goethe-Gemälde bis zu einer Bauhaus-Wiege und der Nachbildung eines schmiedeeisernen Tors des einstigen KZ Buchenwald. Ernst Barlachs „Der Schwebende“, der eigens von Güstrow nach London transportiert wurde, bildet als Versöhnungsgeste den Abschluss.
Ein Stück Mauer, Szenen und Fragmente des 9. November 1989, und auch Gartenzwerge für Fußballfans der jüngsten WM fehlen nicht. Gleich im großen Foyer des Museums kann der Besucher einen grau-blauen VW-Käfer aus dem Jahre 1953 als „Symbol eines neuen Deutschlands“ bewundern. „Es ist notwendigerweise ein Puzzle. Ob es zusammenpasst, muss der Besucher entscheiden“, sagte MacGregor über das Ausstellungs-Konzept.
Die Londoner „Times“ würdigte die Ausstellung als „eine Schau, die jeder sehen muss“. Sie wird von einer BBC-Radioserie begleitet. MacGregors Buch mit demselben Titel soll im November erscheinen. Im Herbst 2015 soll es eine deutsche Ausgabe im Beck-Verlag geben.