NRW Weltkriegserbe: Tausende Bomben liegen noch unter der Erde
Blindgänger sind eine tägliche Gefahr. Erst vorige Woche wurden drei Weltkriegsbomben in Grevenbroich entschärft.
Düsseldorf. Halb Orken ist hermetisch abgeriegelt: Züge fahren keine, die Straßen sind gesperrt, die Häuser verlassen. Um 16.56 Uhr gibt Ordnungsamtsleiterin Ingeborg Hacker grünes Licht, eine Stunde später sind zwei britische und eine amerikanische 250-Kilo-Fliegerbomben entschärft.
Wie am Mittwoch in Grevenbroich werden immer wieder Weltkriegsbomben gefunden. Man könnte annehmen, dass mit den Jahren weniger Kriegsrelikte zum Vorschein kommen, doch keiner weiß genau, wie viele gefährliche Sprengkörper tatsächlich noch in der Erde schlummern. Mehr als zehn Prozent aller Fliegerbomben, die über Deutschland aus dem Himmel fielen, waren Blindgänger. Die Bomben detonierten nicht und blieben im Boden liegen. Entweder hatten sie einen Defekt oder waren nicht entsichert.
Experten wollen errechnet haben, dass die letzte Bombe im Bundesgebiet nicht vor dem Jahr 2100 gefunden wird. Seriös schätzen lässt sich das kaum. Allein Köln wurde im Zweiten Weltkrieg 262 Mal aus der Luft von den Alliierten bombardiert, so oft und so heftig wie kaum eine andere deutsche Stadt. 50 Prozent der alliierten Bombenabwürfe schlugen zwischen Rhein und Weser ein. Insgesamt soll auf NRW eine Bombenlast von mehr als 650 000 Tonnen gefallen sein.
Manchmal liegt der Kriegsmüll nur 30 Zentimeter tief unter der Erde, andernorts sind es bis zu acht Meter. Meist sind es daher Bauarbeiter, die auf die gefährlichen Blindgänger stoßen. Wie auch Anfang Juli in der Neusser Nordstadt. Dort wurde eine Zehn-Zentner-Bombe gefunden, Teile von Neuss, Meerbusch und Düsseldorf waren betroffen, die A 52 musste zwischenzeitlich gesperrt werden.
Neuss mit seiner logistisch guten Lage und den Industriebetrieben im Hafen bot für die Kriegsgegner lohnende Ziele. Aber auch die umliegenden Städte und vor allem der „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ Düsseldorf standen stark unter Beschuss. Mit dem schweren Angriff auf Essen im März 1943 wurde die als „Battle of the Ruhr“ bezeichnete Luftoffensive der britischen Bomberstaffeln eröffnet. Wuppertal wurde im Mai/Juni 1943 von zwei schweren Angriffen heimgesucht. Das Verhältnis der gefundenen britischen und amerikanischen Kampfmittel ist in etwa gleich. Eine der schwersten Bomben wurde im August 2016 in Duisburg unschädlich gemacht: Sie wog rund 1000 Kilogramm.
Bei der Bezirksregierung lagern circa 320 000 Luftbilder der Alliierten, die Bombenabwurfgebiete aus dem Zweiten Weltkrieg zeigen. Liegt eine geplante Baustelle in einem solchen Gebiet, kommt es zu einer ferromagnetischen Untersuchung. Dabei wird das Areal auf Metall im Boden untersucht. Wird etwas entdeckt, ist das ein Fall für den Kampfmittelräumdienst.
Im operativen Bereich arbeiten im Rheinland 24 Feuerwerker, die die Kriegsaltlasten entschärfen. „Entschärfen bedeutet grundsätzlich immer, dass der Zünder aus dem Bombenkörper entfernt wird“, erklärt Stefanie Klockhaus, Sprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf. Die Sprengmeister haben im Lauf der Jahrzehnte mehr als 150 verschiedene Bombenarten und zahlreiche Zündmechanismen kennengelernt. Man sieht den Bomben auch nicht an, wie stark sie beschädigt sind. Die Zünder werden durch das Alter immer empfindlicher, sagt Klockhaus: „Sie sind Witterungseinflüssen ausgesetzt und die Korrosion schreitet fort, die Gefahr nimmt dadurch aber nicht ab.“
Meist geht alles gut aus, aber nicht immer. In NRW ereignete sich der letzte Unfall beim Entschärfen einer Bombe im Jahr 1965. Im Januar 2014 kam bei einer Explosion einer britischen Luftmine in Euskirchen ein Baggerfahrer ums Leben, die Bombe lag unter einer Schicht Bauschutt. In einem Munitionszerlegungsbetrieb starb 2008 ein Kampfmittelräumer, als eine Granate beim Zersägen detonierte.