Wenn Papi plötzlich zuschlägt
Ein Fünfjähriger wird im Supermarkt misshandelt. Kunden und Mitarbeiter greifen ein.
<strong>Mönchengladbach. "Ich war entsetzt und habe immer nur an meine Kinder gedacht", sagt Marion Gränz (44). Die Mitarbeiterin eines SB-Warenhauses in Mönchengladbach und eine Kundin haben einen Familienvater (49) angezeigt, der nach dem Wochenend-Einkauf seinen Sohn (5) getreten und geschlagen hatte. Jetzt ermittelt die Polizei. Sie leitete gegen den 49-Jährigen ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und Kindesmisshandlung ein. Auch das Stadtjugendamt wurde eingeschaltet und bietet seine Hilfe an. Die Familie des Gladbachers sei dort bislang "nicht negativ in Erscheinung getreten", heißt es.
Der Vorfall wurde am Montag öffentlich, ereignete sich aber bereits am Samstag um 19 Uhr. Der Mann hatte den Einkauf erledigt und schob den Kinderwagen mit dem dreijährigen Sohn. Mit dabei das fünfjährige Opfer. Marion Gränz, Mutter dreier Kinder im Alter von sieben, zwölf und 17Jahren, ist zu dem Zeitpunkt im Servicecenter mit Kundenfragen beschäftigt, wird durch Schreie des Kleinen aus dem Kassenbereich hellhörig.
"So etwas darf nicht passieren, da sind die Grenzen deutlich überschritten worden", sagt sie. Mit einer Käuferin ("Das fand ich ganz toll") stellt sie den Vater zur Rede. "Doch der hat uns ignoriert, ist einfach weitergegangen."
Inzwischen sind auch der Hausdetektiv und ein weiterer Angestellter der Warenhauskette über die brutalen Schläge (O-Ton Polizei) informiert. Sie verfolgen Vater und Söhne, stellen sie in der Nähe des Parkplatzes und notieren die Personalien.
Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, "dass der 49-Jährige gerade in letzter Zeit häufiger seine Kinder anschreit", dabei wohl aber keine Gewalt anwende. Er sei "im Moment häufig gestresst", sagt die 23 Jahre jüngere Ehefrau den Beamten. Sie schildert ihren Mann als "liebevollen Vater". Dass mit den Schlägen und Tritten "überrascht" die Frau. Beide sind seit acht Jahren verheiratet.
"Ihre beiden Söhne wirken zwar verschüchtert, haben aber keine Blessuren oder Änliches", sagt ein Sprecher der Polizei. Auch die Wohnung mache keinen verwahrlosten Eindruck.
Die 26-jährige Mutter hat aber auch erklärt, dass der Fünfjährige "häufiger Probleme bereitet". Fachleute nennen das verhaltensauffällig. Immer dann verliere der Vater die Nerven.
Schläge: Das Anwenden von Gewalt in der Erziehung war lange üblich und gesellschaftlich akzeptiert. Kinder wurden und werden von ihren Eltern immer wieder zum Gehorsam genötigt, notfalls mit Gewalt. Es galten die Sprüche "Wer nicht hören will, muss fühlen!" oder "Eine Ohrfeige hat noch nie geschadet!"
Gesetz: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig." So lautet seit acht Jahren der Paragraph 1631 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Übersetzt für Eltern und alle anderen Erzieher: "Was du nicht willst, das man dir tut, das füg’ auch keinem andern zu."
Wirklichkeit: Rund 50 Prozent aller Eltern wissen in schier unerträglichen Situationen keinen anderen Ausweg, als körperliche Strafen anzuwenden. Gründe können Überlastung, Überforderung, Ehekonflikte, ein immenses Hilflosigkeitsgefühl, hohe innere Spannungen sein. Untersuchungen belegen, dass zwischen der moralischen Einstellung (ich möchte mein Kind nicht schlagen) und dem tatsächlichen Verhalten im Erziehungsalltag eine große Diskrepanz zu finden ist.
Wirkung: Draufhauen - auf den Po, hinter die Ohren oder noch härter. Hilft das wirklich? Nach Umfragen zeigen Ohrfeigen bei 18 Prozent der Kinder ein paar Tage, bei knapp 20 Prozent ein paar Stunden, bei 41 Prozent gar keine positive Wirkung. Schläge - die von Babys gar nicht verstanden werden - tun weh, körperlich wie auch seelisch. Vor allem stören sie das Urvertrauen eines Kindes in seine Eltern, weil es nicht versteht, warum zu solchen drastischen Mitteln gegriffen wird.
Gewaltspirale: Aus Kindern, die geschlagen wurden, entwickeln sich meist wieder schlagende Eltern. Besonders tragisch: Die Betroffenen gestehen seelische Verletzungen nicht ein, sondern behaupten felsenfest, es hätte ihnen nicht geschadet (84 Prozent).
Hinschauen: Kinder haben nicht nur den Anspruch des Schutzes durch den Staat. Bei Gewalt gegen Kinder oder Vernachlässigung sollte niemand wegschauen, sondern handeln - und Jugendämter oder Polizei informieren. mhs