Wenn Schweinsteigers Angriff ins Leere geht

Wie Stressbewältigung beim Public Viewing funktioniert. Eine Feldbeobachtung.

Düsseldorf. "Komm, Junge, zieh’ ab, ohhhh, ist doch nicht wahr..." Lahm, Klose und Kuranyi sitzen vor der Großbildleinwand, schießen kurz von ihren Bänken hoch. Dann sitzen sie aber auch schon wieder. Nein, es läuft heute nicht gut beim Spiel Deutschland gegen Serbien, hier am Düsseldorfer Rheinufer.

Der Typ mit dem schwarz-rot-goldenen Irokesenkamm und dem Lahm-Trikot saugt an seiner Zigarette. Klose schiebt sich den Plastikbecher zwischen die Lippen. Dann schüttet er Alt in sich hinein, als sei’s ein Antidepressivum. Keine Frage: Der Schiri ist ein Desaster, und immer diese Querpässe. "Ein Punkt, wenigstens ein Punkt", fleht Kuranyi.

Aber es geht auch anders: "Auf geht’s, Deutschland schießt ein Tor", grölt eine Gruppe dem Pessimismus entgegen, und als die Deutschen einen Elfmeter verschießen, stimmen sie "Alle meine Entchen" und "Humba-Humba-Humba Täterä" an. Dann probieren sie eine La-Ola-Welle, die allerdings aufgrund der fehlenden Massen-Euphorie in sich zusammenbricht.

Auch der Fan im Schweinsteiger-Trikot und den schwarz-rot-goldenen Riesenohren hat sich in der 74. Spielminute ein neues Lebensziel gesetzt. Er täuscht den Typen mit der nervigen Tröte kurz an, grätscht links vorbei, und schon steht er vor der Blonden mit dem schwarz-rot-goldenen Stirnband. "Wie wär’s mit ’nem Nachspiel?" schießt er los.

Aber Schweinsteigers Sturm bricht in sich zusammen, weil die Blonde nur grinst, eine Kaugummi-Blase vor dem Mund platzen lässt und weiter auf die Leinwand starrt.

Ein paar Meter weiter hat Rehpinscher Maggie andere Sorgen. Frauchen ist Fan, weswegen er jetzt hier sein muss mit seinem schwarz-weißen Deutschland-Westchen - was noch okay wäre. Wenn nicht dieses Gewühl und dieses Getröte wären. Und dann aktiviert auch noch das vorbeifahrende Tankschiff "Hamburg" sein Horn, um zu beweisen, dass die Vuvuzelas albern sind.

Auf dem Frachter steht die Besatzung und winkt zum Rheinufer, hinter einem Kajütenfenster flimmert grün ein Fernsehbildschirm.

Und dann ist das Spiel aus. Ein paar Ghanaer mit Sonnenbrillen in den Haaren steigen von ihren Bierkästen. Einer von ihnen, der aussieht wie Rapper Bushido, legt Podolski tröstend den Arm um die Schulter. "Korrekt Alter", sagt er, "und die Deutschen werden doch Weltmeister."