Wer bekommt das Zahngold aus dem Krematorium?

Edelmetall verbleibt bei der Verbrennung als Rückstand in der Asche. Doch kaum ein Hinterbliebener spricht das heikle Thema an, sagt ein Experte für Bestattungsfragen.

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Düsseldorf. Was geschieht eigentlich mit dem Zahngold — mit Füllungen, Brücken oder Kronen — wenn die sterblichen Überreste eines Menschen im Krematorium verbrannt werden? Und das Edelmetall dann als Verbrennungsrückstand erhalten bleibt. Ein Tabuthema, das Angehörige oder Erben verständlicherweise ungern ansprechen. Und damit anderen das Feld überlassen.

Nur selten kommt es zu Prozessen, in denen es genau darum geht. Wie etwa 2014 vor dem Bundesarbeitsgericht, das einem Krematorium Schadensersatz gegen einen Mitarbeiter zusprach. Dieser hatte innerhalb von sieben Jahren während seiner Tätigkeit mehr als 31 Kilo Gold abgezweigt. Beziffert auf einen Wert von mehr als 250 000 Euro. Und in einem Strafverfahren verurteilte vor drei Jahren der Bundesgerichtshof mehrere Angeklagte wegen Störung der Totenruhe und Verwahrungsbruchs zu Bewährungsstrafen. Auch sie hatten Zahngold und Schmuckreste aus den Verbrennungsrückständen entnommen und für sich verwertet.

Wie leicht man das Gold zu Geld machen kann, lässt sich mit ein paar Klicks im Internet feststellen. Dort gibt es Ankaufsangebote für Zahngold zu tagesaktuellen Preisen. Diese orientieren sich freilich auch an der Goldqualität. Für zehn Gramm können es mal knapp unter hundert bis weit über 200 Euro sein.

Dass es nicht die Mitarbeiter eines Krematoriums sind, denen das Edelmetall und der daraus erzielte Erlös zustehen, ist nachvollziehbar. Aber damit ist noch längst nicht gesagt, dass der Betreiber des Krematoriums die Rechte daran hat. Müssten diese Metalle nicht, wenn die Angehörigen des Verstorbenen nichts anderes geregelt haben, mit in die Urne gegeben und mit beigesetzt werden? Und wenn dies nicht geschieht, wem stehen sie dann zu?

Der Verband Aeternitas, ein Verein, der Verbraucher in organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten rund um den Trauerfall informiert, versucht mit einem aktuellen Rechtsgutachten Klarheit in die Sache zu bringen. Danach sind die nach der Verbrennung des Leichnams verbleibenden Edelmetalle zunächst einmal im rechtlichen Sinne „herrenlos“. Ein Aneignungsrecht an diesen herrenlosen Gegenständen hätten sodann die Erben oder (wenn diese nicht feststehen) erst einmal die Hinterbliebenen des Verstorbenen.

Ein Recht des Krematoriumsbetreibers zur Aneignung kann nach der Expertise dagegen nur dann bestehen, wenn die eigentlich Aneignungsberechtigten auf dieses Recht verzichten. Allein daraus, dass die Angehörigen eine Einäscherung des Leichnams wünschten, könne allerdings nicht geschlossen werden, dass sie damit einverstanden sind, dass Dritte die Edelmetalle an sich nehmen.

Und wie gehen Krematorien in der Praxis mit dieser Frage um? Aeternitas-Vorsitzender Christoph Keldenich geht davon aus, dass in einigen wenigen Krematorien alle Metalle in der Asche belassen würden — also mit in die Urne kommen. In anderen werde alles entnommen. Es lasse sich aber kaum abschätzen, wie oft das Zahngold bei den Krematorien verbleibt und von diesen verwertet wird und wie oft die Angehörigen es haben möchten. Keldenich: „Dies ist ein so heikles Thema, dass die wenigsten kommunalen und privaten Betreiber damit transparent und offen umgehen.“

Auch ein Herausgabeverlangen der Angehörigen dürfte selten vorkommen. Aus Unwissenheit und Pietätsgefühl würden hier so gut wie keine Forderungen gestellt, schätzt Keldenich. Teilweise werde dieses Geltendmachen von Ansprüchen den Angehörigen aber auch unattraktiv gemacht. „Zum Beispiel, wenn sie aus Gründen der Transparenz bei der Entnahme anwesend sein sollen oder Verwaltungsgebühren für die Tätigkeit der Entnahme zahlen sollen.“

Was aber passiert mit dem Erlös aus dem Verkauf des Zahngolds, wenn die Krematorien dieses für sich in Anspruch nehmen? Der Aeternitas-Vorsitzende dazu: „Wir denken, dass der Großteil der Erlöse für wohltätige Zwecke gespendet wird, können dies aber nicht belegen. Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Erlöse bei den öffentlichen Betreibern eher dem eigenen Haushalt zugute kommen als bei privaten. Denkbar ist auch, dass nur ein Teil der Erlöse für Spenden eingesetzt wird, zum Beispiel der Außendarstellung halber.“

Und wenn Angehörige eben dies nicht geschehen lassen wollen, sondern das Gold für sich beanspruchen — bleibt es dann ihrer Initiative überlassen, das Thema von sich aus anzusprechen? Dazu hätten sie oft gar nicht die Gelegenheit, gibt Keldenich zu bedenken. Denn die wenigsten Angehörigen stünden im Kontakt mit den Krematorien, sondern nur mit dem Bestattungsunternehmen. Diesem werde der Auftrag erteilt, eine Feuerbestattung durchführen zu lassen, weitere Einzelheiten würden nicht besprochen.

Es gebe allerdings auch Vordrucke der Krematorien, die den Bestattern zur Verfügung gestellt werden, auf denen die Praxis vor Ort und die entsprechende Verfahrensweise dargestellt werde. Hier müsse der Kunde dann die Entscheidung treffen. Nach Erkenntnissen von Aeternitas ist das aber eher selten der Fall. Und so bleibt es dann doch den Angehörigen überlassen, das heikle Thema aktiv anzusprechen.

Aber selbst dann werden sie scheitern, wenn sie auf eine Herangehensweise stoßen, wie sie zum Beispiel die Stadt Köln praktiziert. In deren Friedhofssatzung heißt es kompromisslos: „Leichen zur Kremierung werden nur angenommen, wenn mit dem Kremierungsauftrag auch die Übertragung des Aneignungsrechts an Kremierungsrückständen auf das Krematorium Köln erfolgt, sofern es vom Verstorbenen als letzter Wille schriftlich noch nicht übertragen wurde. Es muss eine Einverständniserklärung vorliegen, nach der alle Metalle (Zahnfüllungen, Kronen usw.), körpereigenen medizinischen Implantate (Gelenke, Schrauben, Platten usw.) sowie sonstige Sargbestandteile (Nägel, Schrauben, Beschläge) nach der Einäscherung gemäß dem Kreislaufwirtschaftsgesetz einer ökologischen Verwertung zugeführt und die daraus erzielten Erlöse ausschließlich zur Kostenreduzierung im Krematorium Köln verwendet werden.“

Mit anderen Worten: Wer sich nicht darauf einlässt, auf alles zu verzichten, der kann die Dienste des Krematoriums nicht in Anspruch nehmen. Eine Ausnahme gilt nach den Kölner Regeln nur dann, wenn der Verstorbene sein Zahngold testamentarisch seinen Erben vermacht hatte. Aber wer denkt schon so weit?