Abrutschen in die Prostitution Wie Ina aus Mülheim eine Hure wurde

Warum geht eine Frau anschaffen? Ina aus Mülheim hat fünf Jahre lang mit fremden Männern für Geld geschlafen, um mehr Geld für sich und ihren Sohn zu haben. Dann stieg sie aus.

Symbolbild.

Foto: Oliver Berg

Mülheim/Ruhr. Als Prostituierte hat Ina bis zu 120 Euro die Stunde verdient - jetzt in der Gastronomie sind es nur noch 8,50 Euro. Trotzdem ist die 48-Jährige aus Mülheim an der Ruhr, die in Wirklichkeit anders heißt, mehr als zufrieden mit ihrer Stelle als Kellnerin. Es sei der perfekte Job für sie, sagt Ina. Fast fünf Jahre lang war sie Sexarbeiterin. Doch das ist Vergangenheit.

Es begann im Sommer 2010. Ina holte gerade ihr Abitur an der Abendschule nach. Geldprobleme hätten dort alle gehabt. Dann erfuhr sie von einer Mitstudentin, die schon einmal als Prostituierte gearbeitet hatte. „Es ist doch schnelles, einfaches Geld“, habe sie gedacht. Keine drei Tage später hatte sie zum ersten Mal Sex mit einem Fremden für Geld. Ina wollte ihr Arbeitslosengeld II aufbessern - und mit dem Geld auch mal neue Schuhe für ihren Sohn kaufen. Drei Monate arbeitete sie in einem Mülheimer Club. „In einem der Besseren. Es gibt auch sogenannte „A&O-Clubs“ - alles ohne - das geht gar nicht.“

100 Euro zahlten ihr die Freier dort pro Stunde - weit mehr als den üblichen Stundenlohn. 50 Prozent von Inas Einnahmen gingen an den Clubbesitzer, zehn Prozent Steuern ans Finanzamt. Am Tag bediente Ina bis zu sechs Männer - macht 270 Euro Taschengeld. „Die Männer waren zwischen 20 und 70, vom Arbeiter bis zum Akademiker.“ Fast fünf Jahre schlief sie mit fremden Männern. „Ich hatte Geld in der Tasche und konnte für mein Kind einkaufen - das war alles, was zählte.“

Ins Prostitutionsmilieu abzurutschen sei einfacher als man denke, sagt Sozialarbeiterin Silvia Vorhauer von der Dortmunder Mitternachtsmission, einer Beratungsstelle für aktive und ehemalige Prostituierte. „Die Gründe sind dabei ganz unterschiedlich, häufig ist es aber aus finanzieller Notlage. Viele haben Schulden, einige sind drogenabhängig.“ Andere wollten damit die Arbeitslosigkeit ihres Mannes überbrücken oder einem Kind das Studium finanzieren.

Prostitution gibt es in vielen Städten Nordrhein-Westfalens. In Dortmund arbeiten laut Mitternachtsmission mehr als 300 Prostituierte allein in einer Bordellstraße. In 60 weiteren privaten Wohnungen böten Frauen Sex an. Sieben große Clubs gibt es in Dortmund, hinzu kommt illegale Straßenprostitution. „Dort arbeiten zu 90 Prozent Migrantinnen, die sonst keine Chance haben, in Deutschland zu überleben“, erklärt Silvia Vorhauer von der Mitternachtsmission. Das NRW-Gesundheitsministerium sagt, dass sich die Zahl der Prostituierten in NRW nicht genau bestimmen lässt. Experten schätzten die Zahl auf 25 000 bis 45 000, rund zehn Prozent von ihnen sind Männer.

Von 2011 bis 2014 beschäftigte sich in Nordrhein-Westfalen unter Leitung des Emanzipationsministeriums ein Runder Tisch mit Prostitution in NRW. In seinem Abschlussbericht stellte das Expertengremium unter anderem eine „immer noch bestehende starke Stigmatisierung“ fest. „Prostituierte sehen sich nach wie vor gezwungen, ein Doppelleben zu führen, es fehlt an Vertrauen in Polizei und Behörden. Nicht selten werden vorherige soziale Bezüge abgebrochen, gerade dadurch ergibt sich die vielzitierte „Haltekraft des Milieus“.“

Nach eineinhalb Jahren in Clubs machte sich Ina selbstständig und bot Hausbesuche an. Über Zeitungsannoncen und Internetseiten kam sie an Kunden. Silvia Vorhauer weiß, wie gefährlich das sein kann. „Wir raten Prostituierten generell davon ab, alleine in der Wohnung eines Fremden zu sein - es ist niemand da, der helfen kann.“ Lukrativ war es aber - das Einzige, was für Ina zählte. „Ich habe 120 Euro pro Stunde genommen, plus Anfahrt.“ Das Risiko ignorierte sie - mit schlimmen Folgen. Eines Tages sei sie von zwei Männern gebucht worden. Sie hätten sie betäubt und vergewaltigt. Nackt wachte sie in einem Wald wieder auf. Gefasst wurden die Täter nie - in die Wohnung seien sie eingebrochen. „Ich weiß, dass das auch anders hätte enden können, aber ich habe trotzdem weitergemacht.“

Ina arbeitete in verschiedenen Städten wie etwa Wuppertal, Moers und Bochum. Verstecken gespielt hat sie während der fünf Jahre nicht. Freunde und Familienangehörige wussten von ihrem Nebenjob. „Von den 20 Freunden sind nur zwei übrig geblieben“, erzählt sie. Trotzdem bereue sie die Zeit nicht. Sie habe viel gelernt über sich selbst. Doch für sie ist auch klar: Noch einmal Sex für Geld anbieten - „auf keinen Fall, niemals“. Zu viele Spuren habe die Zeit hinterlassen. „Ich trage keine freie Kleidung mehr, gehe auch nicht mehr schwimmen - ich hasse es, meinen Körper zu zeigen. Es ging viel zu lange nur um meinen Körper.“