Betrugsmasche "Wie blöd muss man sein?" - Zwei Millionen für Rocco und Cindy

Drei Ehepaare werden mit der Aussicht auf riesige Provisionen und einem alten Trick um Zehntausende Euro betrogen. Wie kann so etwas heute noch passieren?

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Aachen. Um Roccos Geschichte glauben zu können, muss man eigentlich gehört haben, wie Rocco sie erzählt. Rocco K. ist ein 42 Jahre alter Frührentner aus Sachsen. Vergangene Woche saß er im Zeugenstand des Saales A 1.018 im Aachener Landgericht und erzählte, fast zwei Stunden lang.

Roccos Geschichte begann im August, als er sein Fachwerkhaus in Sachsen im Internet zum Verkauf inserierte. Noch am selben Tag meldete sich ein potenzieller Käufer, und schon nach wenigen Mails war klar, dass der Mann das Haus kaufen würde. Es handelte sich um Captain Ray Hartman, einen in Afghanistan stationierten Offizier des US-Geheimdienstes, Witwer, Vater zweier Töchter, kurz vor der Pensionierung. Seinen Lebensabend wolle er in Sachsen verbringen, schilderte er Rocco in mehreren Mails und Telefonaten. In wenigen Tagen entstand so etwas wie ein Vertrauensverhältnis, Rocco dachte, der Zufall hätte ihm einen neuen Freund zugesellt.

Was die Bezahlung des Hauses betraf, sollte es keine Probleme geben: Captain Hartman hatte in Afghanistan 10,2 Millionen Euro bei der Taliban sichergestellt. Wie nebenbei schrieb er Rocco, er suche einen vertrauenswürdigen Menschen in Deutschland, der das Geld bis zu seiner, Hartmans, Pensionierung aufbewahre. Rocco bot sich an, Hartman war begeistert und bereitete den Versand des Geldes vor.

Einige Tage später rief Hartman an und sagte, das Geld sei unterwegs nach Istanbul, von dort aus werde es nach Deutschland transportiert. Unvorhergesehenerweise sei eine kleine Gebühr für den diplomatische Transport zu entrichten, ob Rocco dafür nicht aufkommen könne. Wenn das Geld in Deutschland sei, könne Rocco sich die Summe aus dem Koffer nehmen, außerdem 20 Prozent der 10,2 Millionen Euro, sozusagen als Provision. 20 Prozent, das wären 2,04 Millionen Euro.

Endlich sollte auch er einmal Glück haben, dachte Rocco. Und weil der Geheimdienstoffizier Ray Hartman sich als ausnehmend zuvorkommender, herzlicher und freundlicher Mensch gab, sagte Rocco zu. Hartman bat Rocco, einem Verbindungsmann in der Türkei, Chefdiplomat Kocak, 1750 Euro zu überweisen, und Rocco überwies. Als die Nachricht kam, Hartmans 10,2 Millionen seien nun in Leipzig eingetroffen, wurden überraschenderweise weitere 6200 Euro fällig, für den Transport von der Türkei nach Deutschland. Rocco, immer die 2,04 Millionen Euro im Sinn, sagte zu.

Rocco und seine Frau Cindy setzten sich ins Auto und fuhren zur Geldübergabe in ein Hotel nach Leipzig. Im vereinbarten Zimmer trafen sie zwei Schwarzafrikaner, der eine stellte sich als Dolmetscher vor, der andere als Diplomat Richard Rush, der um die 6200 Euro bat. Rocco zahlte, Rush verschwand und kam mit einem Schlüssel wieder. Er holte eine Tasche aus dem Schrank, darin war ein Tresor, den Rush öffnete. Der Tresor war voller farbloser Bündel, die aussahen wie Geldscheine ohne Aufdruck.

Rush tat überrascht, der Dolmetscher erklärte, das Geld sei vor der Ausfuhr aus Afghanistan wohl gebleicht worden, damit der Zoll es nicht finde. Das Geld sei mittels eines chemischen Prozesses aber leicht wieder in seinen Originalzustand zurückzuversetzen und zeigte auch gleich wie: Er bat Rocco um eine 100-Euro-Note, packte den Schein zwischen zwei der weißen Scheine aus dem Tresor und verpackte sie in Alufolie. Er gab eine weiße Substanz hinzu, bat Rocco, sich auf das flache Päckchen zu stellen, hob es zwei Minuten später auf, öffnete es und hielt Rocco und Cindy drei 100-Euro-Noten unter die Nase.

„Wir haben geguckt wie die Eichhörnchen“, sagte Cindy vor Gericht.

Diplomat Rush bot Rocco an, die Scheine bei einer Bank auf ihre Echtheit hin prüfen zu lassen, er werde sehen, es sei echtes Geld. Und auf dieselbe Weise würden sie auch den Rest des entfärbten Geldes wiederherstellen. Rocco und Cindy fuhren mit dem Tresor und den entfärbten 10,2 Millionen Euro nach Hause, brachten anderentags das Geld zur Bank und siehe da: Die drei 100-Euro-Scheine waren echt.

Am Telefon vereinbarte man, dass Rocco 30 000 Euro bereithalten solle, damit wollten Rush und ein Helfer die ganzen 10,2 Millionen Euro wieder einfärben. Die 30 000 Euro könne er anschließend wiederhaben. Also kratzen Rocco und Cindy mit allem, was sie hatten, 30 000 Euro zusammen. Einige Tage später kamen Diplomat Richard Rush und ein Techniker zu Rocco und Cindy nach Hause, sie hatten eine Maschine dabei, in der die 30 000 Euro, das entfärbte Geld und die Chemikalien zusammengefügt werden sollten. Rush und der Techniker gingen an die Arbeit, es dauerte nicht lange. Rush erklärte, das Geld müsse nun einige Stunden im Tresor bleiben. In der Zwischenzeit führen er und der Techniker in die nächste Großstadt, sie hätten einige Erledigungen zu machen. Als die beiden am Abend nicht wieder da waren und Rush auch nicht ans Telefon ging, rief Rocco den Chefdiplomaten Kocak in Istanbul an. Rush und der Techniker hätten einen Unfall gehabt und lägen im Krankenhaus, sagte Kocak, und in der Tat hatte es in Sachsen an diesem Tag einen Unfall gegeben, in den elf Autos involviert waren. Die Polizei sprach von mehreren Verletzten, wie Cindy später im Internet las.

Am anderen Tag meldete sich Kocak wieder und erklärte Rocco, er müsse sofort mit der Maschine, in der die 10,2 Millionen und Roccos 30 000 Euro lagerten, nach Brüssel fahren. Das Geld müsse dringend aus dem Tresor, sonst werde es zerstört. Nicht nur Hartmans 10,2 Millionen, auch Roccos 30 000 Euro. Rocco setzte sich ins Auto und fuhr nach Brüssel, mehr als neun Stunden dauerte die Reise. In einem Brüsseler Hotel wurde Rocco schon erwartet. Zwei Schwarzafrikaner nahmen die Maschine mit und rieten Rocco, sich ein Zimmer zu nehmen und etwas zu schlafen. In einigen Stunden sei die Prozedur zur Geldumwandlung beendet. Und wie immer in diesem Fall, tat Rocco das, was die Fremden ihm rieten.

Vier Stunden später kamen die Männer zurück und sagten, alles sei gut gelaufen, Rocco sei gerade noch rechtzeitig nach Brüssel gekommen. Rocco war erleichtert, aber nicht lange. Denn die Männer eröffneten ihm, dass die Wasserzeichen auf den Geldscheinen während der langen Zeit in der Maschine gelitten hätten. Glücklicherweise gebe es aber auch zum Wiederherstellen der Wasserzeichen eine Chemikalie. In Zürich sei eine Fabrik, die die benötigte Menge der seltenen Chemikalie herstellen könne. Kostenpunkt: 43 000 Euro. Wenn Rocco den Betrag schnell besorge, könne er die 10,2 Millionen in einer Woche in Brüssel abholen, so lange müsse das Geld bei konstanten Temperaturen in einem Labor bleiben. Rocco setzte sich mit leeren Händen in sein Auto und dachte nach; zum ersten Mal war er misstrauisch geworden. Die Konten waren überzogen, der Kreditrahmen ausgeschöpft, Rocco kannte niemanden, der ihm noch 43 000 Euro hätte leihen können. Oder doch? Rocco hatte eine Idee. Früher war er Mitglied eines Motorradclubs gewesen, flüchtig kannte er jemanden, der jemanden kannte, der jemanden kannte, der ihm vielleicht. . . Nein, dachte Rocco, bloß nicht. Dann rief er den flüchtigen Bekannten doch an. Wenig später die Antwort: 27 000 Euro könne man ihm leihen, für zwei Wochen. Rocco dachte an die Provision, an die 2,04 Millionen Euro, aber er war nicht mehr sicher, das Richtige zu tun. Rocco fragte Cindy: „Sollen wir das wirklich machen?“ Cindy sagte: „Ja.“ Rocco machte den größten Fehler seines Lebens, lieh sich 27 000 Euro von Menschen, von denen man sich auf keinen Fall Geld leihen sollte.

Eine Woche später fuhr er wieder nach Brüssel. Dort lieferte er das Geld ab, man sagte ihm, dass gegen das Entrichten von weiteren 8490 Euro das Geld zu ihm nach Hause geliefert würde. Irgendwie trieb Rocco auch diesen Betrag auf und zahlte. Rocco fuhr nach Hause, wartete, bis ein Anruf des Chefdiplomaten Kocak aus Istanbul kam, und er war nicht überrascht, als Kocak von Problemen an der belgischniederländischen Grenze berichtete. Das Geld sei vorübergehend konfisziert worden, aber durch gute Verbindungen zur niederländischen Zollbehörde könne es für 37 860 Euro ausgelöst werden. Rocco legte auf und ging zur Polizei, es war der 7. Oktober.

„Wie doof, wie blöd muss man sein, um das alles zu glauben?“, fragte Richter Jürgen Beneking den nach seiner Aussage völlig ausgelaugten Rocco K. „Vielleicht ist man einfach zu gierig geworden“, sagte Rocco. Statt 2,04 Millionen Euro Provision haben Rocco und seine Frau nun 76 000 Euro Schulden. Richter Beneking fragte Rocco, wie er sein Verhalten aus heutiger Sicht beurteile, und Rocco sagte: „Absolut idiotisch.“

Und doch nicht einzigartig idiotisch. Denn zwei Ehepaaren aus Jülich und Langerwehe ging es ähnlich wie Rocco und Cindy, beide Ehepaare hatten Immobilien oder Grundstücke im Internet inseriert, beide erhielten Mails von einem vermeintlichen US-Offizier, Dienstort: Afghanistan. Immer eine ähnliche Geschichte, immer dieselbe Masche. Familie O. aus Jülich wurde um 37 000 Euro betrogen, Familie Z. aus Langerwehe 8120 Euro.

Herr Z. war es auch, der am 2. November Anzeige erstattete, sich der Polizei als Lockvogel zur Verfügung stellte und ein Treffen mit dem Diplomaten Leroy Campbell und einem Dolmetscher bei sich zu Haus in Langerwehe arrangierte. Als am 15. November drei Männer bei Familie Z. auftauchten, wurden sie von einem Einsatzkommando der Polizei verhaftet. Nun sitzen Ilongo L. (33), Alberto W. (36) und Eric E. (43) aus Kamerun u.a. wegen gemeinschaftlichen Betruges in besonders schweren Fällen und Diebstahls in besonders schweren Fällen vor dem Aachener Landgericht.

L. ist nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft der Haupttäter, die anderen beiden sind vorbestraft. Wo das Geld ist, weiß niemand, die Polizei hat erst gar nicht danach gesucht. Vermutlich sei es irgendwo in Afrika versickert, sagte ein Ermittler.