Tradition Wie das Internet den Milchmann rettet

Eine Zukunft für den Milchmann - das Internet rettet eine britische Tradition.

Auch in Deutschland gibt es noch Milchmänner: Mhamed Benchaib ist einer von ihnen. Der 40-jährige kurvt montags bis samstags durch Mittelhessen, den Vogelsberg und die Wetterau und liefert die Milchprodukte der Domäne Selgenhof aus. Wenn er von seinem Job erzähle, sagt Benchaib, schauten ihn stets verdutzte Gesichter an. Alle dächten, in Deutschland gäbe es gar keinen Milchmann mehr, aber er sei ja einer.

Foto: Frank Rumpenhorst

St Albans. Er gehört zum Klischee von England wie die roten Briefkästen: der Milchmann. Noch Anfang der 80er Jahre wurden neun von zehn in Großbritannien verkauften Milchflaschen im Morgengrauen an die Haustür geliefert. Heute sind es nur knapp drei Prozent der Milch, die auf diesem Weg zu den Kunden gelangen. Doch etwa 5000 Milchmänner und -frauen halten die britische Tradition hoch.

Der 57-jährige Neil Garner ist einer von ihnen. Seit 1994 belädt er mitten in der Nacht seinen offenen Lieferwagen, um dann um zwei Uhr morgens mit seiner Tour durch St Albans nördlich von London zu beginnen. „Heute belieferst du nicht mehr so viele Häuser in einer Straße“, sagt er. Trotzdem macht er sich keine Sorgen um seine Branche: „Die Zukunft ist rosig“, meint Garner, der 2015 zum Milchmann des Jahres gewählt wurde.

Sein Geschäft läuft gut, weil er längst nicht mehr nur Milch in den typischen Halbliterflaschen im Angebot hat. Brot, Butter, Eier, Speck und Marmelade stellt er rechtzeitig zum Frühstück vor die Tür. Wer möchte, kann bei Garner online sogar Katzenfutter oder Toilettenpapier bestellen. „Das Internet hat uns einen großen Aufschwung beschert“, freut sich Garner. „Die Möglichkeit der Online-Bestellung hat uns für Jüngere attraktiv gemacht.“

Abends telefonisch oder per Internet bestellt, am frühen Morgen geliefert - für diesen Service sind die Kunden bereit, mehr zu zahlen. Ein halber Liter Milch kostet im Supermarkt etwa 50 Pence (65 Cent), beim Milchmann sind es 81 Pence. Sogar spontane Umbestellungen bei der Lieferung sind möglich. „Heute keine Milch“ steht auf einem Zettel, den Garner vor einer Haustür findet.

Leise rollt der elektrische Lieferwagen durch die dunklen Straßen. „Das ist die beste Zeit des Tages: Die Luft ist frisch und sauber und es gibt keinen Verkehr“, sagt Garner. „Egal ob Schnee, Glätte oder Hochwasser - in 22 Jahren bin ich keinen Tag wegen des Wetters ausgefallen.“ Seine Route führt ihn über schmale Feldwege, vorbei an Landhäusern und zu großen Wohnblocks. Auch eine Gartenlaube und Schulen beliefert der Milchmann.

„Das Geheimnis ist Pünktlichkeit“, verrät er. „Die Leute haben es eben gern, wenn die Milch jeden Morgen zur gleichen Zeit da ist.“ „Eine Minute zu früh heute“, ruft ihm ein Fahrradfahrer entgegen, dem Garner Morgen für Morgen begegnet. „Der Milchmann genießt Respekt, die Leute sehen dich wie einen Freund“, sagt Garner. „Ältere freuen sich über einen Plausch und für sie wechsle ich auch mal eine Glühbirne aus.“

Um halb acht Uhr ist die letzte Milchflasche ausgeliefert. Durch den morgendlichen Berufsverkehr fährt Garner zurück zum Lager. „Milchmänner sind Teil unserer Tradition“, sagt er. „Und die wollen die Menschen nicht verlieren.“ sp/ul/ogo AFP