Grippesaison Wie sinnvoll eine Grippe-Impfung neben der Corona-Impfung ist

Service · Die meisten Deutschen sind nun mit dem vollen Corona-Impfschutz ausgestattet. Sollte zur kommenden Grippesaison dazu die Grippe-Impfung folgen? Können beide Wirkstoffe womöglich sogar zum selben Termin gegeben werden?

Wie sinnvoll ist eine Grippe-Impfung neben der Corona-Impfung?

Foto: dpa/Jens Kalaene

Von Anfang Oktober bis Mitte Mai, wenn es kühl ist und sich das Leben meist drinnen abspielt, zirkulieren Grippeviren besonders häufig. Doch die vergangene Influenza-Saison ist in der Corona-Pandemie fast ausgeblieben.

Ist eine Grippe-Impfung daher überhaupt nötig?

 Die Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) spricht mit Blick auf typische Atemwegsinfekte von einem „vorher nie erreichten, niedrigen Niveau in den Wintermonaten“. Das lag vor allem an den Corona-Schutzmaßnahmen vom Maskentragen bis hin zum langen Lockdown. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO war das ein weltweites Phänomen. Die Rate positiv gemeldeter Influenza-Proben sei zwischen September 2020 and Januar 2021 auf 0,2 Prozent gesunken - im Vergleich zu 17 Prozent zwischen 2017 und 2020 im gleichen Zeitraum.

Was bedeutet das für den Grippe-Impfstoff für die anstehende Saison?

Daten zu den zuletzt zirkulierenden Virus-Varianten sind die Grundlage dafür, wie genau der Grippeimpfstoff für die kommende Saison zusammengesetzt ist. Produktionsstart ist meist schon im Februar - um für Herbst und Winter ausreichend Impfstoff zu haben. Da die letzte Grippewelle weltweit nahezu ausgefallen ist, ist die Datenbasis zu den Erregertypen nun geringer. Trotzdem hat die WHO keine Zweifel an der Effektivität des aktuellen Vakzins. Wenn auch auf sehr niedrigem Niveau habe es ja Grippeviren-Aktivität gegeben, teilte die Organisation auf Anfrage mit. Die globale Influenza-Aktivität wird nach WHO-Prognosen auch niedrig bleiben. Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko), hält Sorgen über weniger Schutzwirkung ebenfalls für unbegründet. Für Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), ist die Datenbasis aber eben längst nicht so gut wie in den Vorjahren. Die Wirksamkeit lasse sich daher kaum abschätzen, sagte er jüngst auf einem Kongress.

Für wen ist es sinnvoll, sich gegen Grippe impfen zu lassen? Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt eine Grippeimpfung unter anderem für Menschen ab 60 Jahren, für Schwangere, Vorerkrankte und für medizinisches Personal. Für gesunde Unter-60-Jährige und Kinder gibt es keine explizite Empfehlung - die Stiko rät aber auch nicht davon ab. Darüber hinaus gilt die Impfempfehlung für Menschen, die Risikogruppen anstecken könnten, also zum Beispiel für pflegende Angehörige.

Warum sollten sich Risikogruppen gerade in der Pandemie gegen Grippe impfen lassen?

Die Gruppen, die einen schweren Krankheitsverlauf zu befürchten haben, sind bei Influenza und Covid-19 sehr ähnlich. Es besteht sogar die Möglichkeit, sich mit beidem zu infizieren und dadurch die Krankheitsschwere zu potenzieren. Für Kliniken ist in der Pandemie eine hohe Influenza-Impfquote nützlich, um Engpässe bei Intensivbetten und Beatmungsplätzen zu vermeiden.

Kann man sich gleichzeitig gegen Grippe und Covid-19 impfen lassen?

Ein deutliches „Ja“, kommt dazu von Hausärzten und der Ständigen Impfkommission (Stiko). Es sprächen zwei klare Vorteile dafür, sagte der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes Ulrich Weigeldt. Zum einen bestünde die Gefahr, dass manche Patientinnen und Patienten nur eine der beiden Impfungen wahrnähmen, weil sie nicht zu mehreren Impfterminen hintereinander erscheinen möchten. „Außerdem würde sich gleichzeitig das mögliche Ansteckungsrisiko durch die Vermeidung eines zusätzlichen Impftermins reduzieren“, ergänzte er. Einzelne Praxen sehen das aber durchaus anders. Für sie gilt die Regel von einer Impfung pro Tag - und beim Grippe- oder Coronaschutz die nächste erst 14 Tage später.

Wie hoch sind die Grippe-Impfquoten in Deutschland?

In den Risikogruppen sind sie seit Jahren zu niedrig und zeigen ein deutliches Ost-West Gefälle - jedoch ganz anders als bei Corona: In der Saison 2019/20 ließ sich nach RKI-Angaben in westlichen Bundesländern im Schnitt nur ein Drittel der Senioren impfen (34,8 Prozent), in den östlichen Bundesländern war es dagegen mehr als die Hälfte (57,1 Prozent). Bei Ärzten liegt die Impfquote mit 79,3 Prozent am höchsten, in der Pflege waren es 46,7 Prozent. Grippeimpfstoff ist in Deutschland bisher generell noch nicht knapp geworden, lokale Engpässe sind aber mitunter möglich. Zur Verfügung stehen in jeder Saison mehr als 20 Millionen Dosen.

Wie hoch ist die Wirksamkeit von Grippe-Impfstoff?

Das kann unabhängig von der Corona-Pandemie in den einzelnen Saisons sehr unterschiedlich sein. Die Zusammensetzung des Impfstoffes wird zwar jährlich aktualisiert. Es sei trotzdem möglich, dass in der folgenden Saison Influenzaviren nicht so gut mit den im Impfstoff enthaltenden Virusstämmen übereinstimmten, heißt es beim RKI. Grund sei zum Beispiel, dass sich während der Produktionszeit des Vakzins andere Stämme durchgesetzt hätten. Bei einer sehr guten Übereinstimmung der zirkulierenden Influenzaviren mit dem Impfstoff wurde bei jungen Erwachsenen laut RKI eine Schutzwirkung von bis zu 80 Prozent beobachtet. Die Trefferquote kann je nach Saison und Entwicklung aber auch deutlich niedriger liegen. Ältere Menschen haben beim Grippeimpfstoff oft eine reduzierte Immunantwort. Dennoch könne sich auch ihr Risiko, an Influenza zu erkranken, durch die Impfung im Durchschnitt etwa halbieren, heißt es beim RKI. Aufgrund der Häufigkeit von Influenza könnten in Deutschland trotz der bescheidenen Impfquoten bisher pro Jahr rund 400.000 Grippefälle bei Senioren verhindert werden.

Wie viele Todesfälle durch Grippe gibt es jedes Jahr in Deutschland?

Diese Zahl kann nur geschätzt werden. Denn zum einen wird längst nicht bei jeder Atemwegserkrankung auf Influenza getestet. Zum zweiten sterben viele Menschen nach einer Influenza-Infektion an einer Lungenentzündung als Komplikation. Grippeviren sind dann aber oft schon nicht mehr nachweisbar. Deshalb wird die Zahl der Toten als Differenz berechnet. Sie ergibt sich, wenn von der Zahl aller Todesfälle während der Influenzawelle die Todesfallzahl abgezogen wird, die es ohne diese Welle gegeben hätte. Das Schätz-Ergebnis wird als „Übersterblichkeit“ bezeichnet.

Die Zahl der Toten kann bei Grippewellen in Deutschland stark schwanken, von mehreren Hundert bis über 20.000. Bisher gab es auch drei Grippe-Pandemien. 1918/19 starben dabei nach RKI-Angaben 426.600 Menschen im damaligen Deutschen Reich. 1957/58 gab es geschätzte 29.100 Todesfälle in Deutschland, zwischen 1968 und 1970 waren es geschätzte 46.900 Grippetote. Zum Vergleich: Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sind in absoluten Zahlen bisher rund 92.800 Menschen in Deutschland gestorben.

(dpa/red)