Kleine Tiger Europas Wildkatzen erobern neue Gebiete in Deutschland
Berlin (dpa) - Grüne Augen, rosa Näschen und ein graubraunes Tigerfell: Auf den ersten Blick ähneln Europäische Wildkatzen den verschmusten Stubentigern zu Hause.
Doch anders als das beliebteste Haustier der Deutschen sind die Bestände der Wildkatzen bedroht, die Spezies steht auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Lange fast bis zur Ausrottung bejagt, fehlt den hierzulande inzwischen streng geschützten Miezen heute vor allem ihr angestammter Lebensraum: naturnahe Wälder. Doch es gibt auch gute Nachrichten.
Sechs Jahre nach dem Start des umfangreichen Naturschutzprojekts „Wildkatzensprung“ hätten die Tiere ihre Gebiete vergrößert, sagte Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz (BfN), bei einer Bilanz am Dienstag. So lebten sie heute zum Beispiel sogar im Leipziger Auwald. „Damit hätte niemand gerechnet“, ergänzte Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (Bund).
Europäische Wildkatzen (Felis silvestris silvestris) haben mit den Miezen auf dem Sofa nur weit entfernte Vorfahren gemeinsam. Die vier bis fünf Kilo schweren Tiere sehen gedrungener aus als Hauskatzen und leben ausschließlich in Wäldern mit viel Unterholz und Baumhöhlen zum Verstecken. Neben vielen Mäusen fressen sie gelegentlich auch Frösche, Eidechsen und Vögel. Für Spaziergänger und Wanderer sind sie so gut wie nie zu sehen. Denn Wildkatzen schlafen tagsüber und jagen nachts.
2011 startete das 3,85 Millionen teure Schutzprogramm aus den Mitteln des Bundesumweltministeriums. Dabei ging es nicht darum, Wildkatzen in geeigneten Wäldern künstlich anzusiedeln, sondern vielmehr Wälder für die bestehenden Bestände attraktiver zu machen - und die Flächen vor allem durch grüne Korridore zu verbinden. Denn Wildkatzen laufen keine weiten Strecken über Wiesen und Felder. Neu gepflanzte Korridore aber haben sie genutzt.
Vor dem Projekt galten Mittelgebirge wie Hunsrück, Eifel, Pfälzerwald, Röhn, Hainich und Spessart als Lebensraum von Wildkatzen. Inzwischen sind sie nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz auch im Kottenforst bei Bonn, im nördlichen Baden-Württemberg und bei Leipzig nachgewiesen. Überrascht haben die Wildkatzen in Bayern: „Sie leben nun auch im Süden des Landes“, so Weiger. „Sie müssen also durch die Donau geschwommen sein.“
Das alles ist so genau bekannt, weil sich mehr als 1000 ehrenamtliche Helfer über Jahre im Wald um Lockstöcke mit Baldriantinkturen gekümmert haben. Baldrian hat eine magische Anziehungskraft auf Katzen, sie folgen dem Geruch bis zur Quelle. An den klebrigen Lockstöcken zupften die Helfer Tierhaare ab und schickten sie zur Analyse an die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.
„Wir haben durch Genanalysen 800 Wildkatzen identifizieren können“, berichtet Volker Mosbrugger, Generaldirektor der Gesellschaft. Die Wissenschaftler wissen nun auch, dass sich die wilden und die zahmen Katzen kaum verbandeln. „Nur drei Prozent der analysierten Wildkatzen tragen Hauskatzen-DNA“, sagte Mosbrugger.
Der gesamte Wildkatzenbestand in Deutschland wird auf 5000 bis 7000 Tiere geschätzt. Im Südwesten leben deutlich mehr als im Südosten, wo auch die Vielfalt des Genpools kleiner ist. Im Norden, zum Beispiel in Brandenburg und Mecklenburg, gelten die Tiere weiter als ausgestorben. Dort gäbe es zwar geeignete Wälder - aber es fehlen durchgängige grüne Verbindungen zu den heutigen Wildkatzen-Regionen.
Die finanzielle Förderung für das Wildkatzen-Projekt durch das Bundesumweltministerium ist nun ausgelaufen. Naturschützer und Senckenberg-Gesellschaft wollen aber weitermachen. Wildkatzen in die Landesentwicklungspläne aktiv mit einzubeziehen, haben nach Angaben des BUND bisher nur Thüringen und Hessen zugesagt, Baden-Württemberg sei auf dem Weg.
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, hofft auf bundesweites Engagement in grüne Infrastruktur samt Wäldern und Gewässern. „Da ist politisch noch einiges zu tun“, sagt sie. Das erfolgreiche Wildkatzen-Projekt zeige, dass Trendwenden möglich seien.
Dass Wildkatzen bis zum Jagdverbot im Jahr 1935 in Deutschland intensiv bejagt wurden, hatte nach Angaben des BUND vor allem mit „Jägerlatein“ zu tun. Jäger hätten den Tieren damals die Jagd auf Niederwild wie Hasen, Rebhühner und Rehkitze angedichtet. Nachdem Luchs und Wolf bereits im 19. Jahrhundert ausgerottet waren, seien Wildkatzen „Lückenbüßer“ gewesen. Heute dagegen seien viele Jäger stolz auf Wildkatzen in ihrem Revier. Denn die wählerischen Miezen bleiben nur, wenn der Wald naturnah und gesund ist.