70 Jahre nach dem Holocaust Willkommen: Warum Israelis positiv über Deutsche denken
Tel Aviv (dpa) - „Die Deutschen kommen pünktlich, man kann sich schnell mit ihnen anfreunden - und die deutschen Männer sehen viel besser aus“, sagt Michal Tussia-Cohen und strahlt.
Die 38-jährige jüdische Israelin sitzt in ihrer Mittagspause in einem Café in Tel Aviv. Sie hat deutsche Freunde, ist mehrfach nach Deutschland gereist und denkt grundsätzlich positiv über die Deutschen. Damit ist sie keine Seltenheit in Israel.
Wer als Deutscher heute ins gelobte Land kommt, wird oft mit einem freundlichen Lächeln empfangen. Wie kann das sein - nur gut 70 Jahre nachdem die Nationalsozialisten sechs Millionen Juden ermordet haben?
„Das Image der Deutschen in Israel hat sich in den letzten 15 Jahren radikal geändert“, sagt der deutsch-israelische Historiker Moshe Zimmermann. Es gebe eine klare Unterscheidung zwischen Israel-damals und Israel-heute. Israelis kämen als Touristen nach Deutschland und bauten ihre Vorurteile ab. „Etwa 90 Prozent der Israelis halten die Beziehung zu Deutschland bereits für normal“, sagt Zimmermann.
Vor allem seit die Israelis festgestellt hätten, dass die Lebenshaltungskosten in Deutschland wesentlich billiger sind als in Israel, sei Deutschland ein Mekka geworden - „oder vor allem Berlin ist für Israelis ein Mekka geworden“, sagt Zimmermann. Die Stadt stehe für Multikulti, Offenheit und günstiges Leben. Dazu gebe es aber auch zahlreiche Hinweise auf die gemeinsame Geschichte, wie das Holocaust-Mahnmal. „Die Deutschen von heute haben sich mit dieser Vergangenheit aufrecht auseinandergesetzt“, sagt Zimmermann. „Deswegen respektieren wir die Deutschen.“
Nach wie vor kommt es allerdings sowohl in Berlin als auch in anderen Teilen Deutschlands zu antisemitischen Übergriffen. „Beim Besuch mancher Stadtviertel würde ich davon abraten, sich als Jude erkenntlich zu zeigen, beispielsweise durch das Tragen einer Kippa“, sagt der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster. „Das betrifft Gegenden mit einem besonders hohen muslimischen Bevölkerungsanteil, wobei es falsch wäre, Muslime unter Generalverdacht zu stellen.“
Dor Raz lernt seit vier Jahren Deutsch. Der Israeli träumt davon, in Deutschland Bildgestaltung zu studieren. „Es scheint, als ob die politischen Diskussionen in Deutschland eine große Tiefe haben“, sagt der 28-Jährige in einem Restaurant im Tel Aviver Zentrum. „Ich würde sagen, dass in Israel kaum Diskussionen stattfinden.“ Das rechte und das linke Lager hätten sich so weit voneinander entfernt, dass es keinen Austausch mehr gebe.
Außerdem sähen viele Israelis die Deutschen als passendes Gegenstück, sagt Eli Salzberger, Leiter des Haifa-Zentrums für Deutsche und Europäische Studien an der Haifa-Universität. „Wenn Israelis innovativ sind, wissen sie zu improvisieren, außerhalb von Schubladen zu denken - dann müssen sie sich auf eine sehr solide Basis verlassen können, und diese solide Basis sind die Deutschen.“ Er schätze an seinen deutschen Kollegen beispielsweise ihre systematischen und analytischen Fähigkeiten. „Die Menschen spüren: Zusammen können wir ein erfolgreiches Team schaffen.“
Der Holocaust bleibt aber zentraler Bestandteil der jüdischen Identität. „Er ist Teil unserer Kultur“, sagt Michal Tussia-Cohen. „Wir sind vorsichtig.“ So gelte für sie auch: „Man kann die Deutschen mögen, aber man sollte sich (der Geschichte) bewusst sein.“ Es gibt auch heute noch viele Israelis, die nie nach Deutschland fahren würden.
Tal Amichai kann sich dagegen gut vorstellen, in Berlin oder Leipzig zu leben. Der 27-jährige Israeli lernt Deutsch, studiert in Jerusalem Stadtplanung und sagt: „Wir sind jetzt vereinnahmt vom israelisch-arabischen Konflikt, der das größte Problem in unserem Leben ist.“ Der Holocaust sei für ihn als Vertreter der dritten Generation lange her. Die deutsche Hauptstadt gilt für ihn als Traumstadt.
Junge Israelis verwenden mittlerweile auch Begriffe im Alltag, die vor Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wären, wie „Jom Shoa“ (Holocaust-Tag), für einen besonders anstrengenden Tag, und „Nazi“. Dor Raz schimpft beispielsweise Menschen „Nazis“, die streng den Regeln folgen, ohne selbst darüber nachzudenken, wie er sagt.
Manchmal erzählen sich die jungen Leute auch Holocaust-Witze beim Bier, wo sie mit tiefschwarzem Humor dem Thema begegnen. Historiker Zimmermann sieht darin eine Form des Protestes gegen die eigene Gesellschaft. „Das ist ein Befreiungsschlag“, sagt er. „Nicht immer diese Attitüde: Die Shoa begleitet uns ständig, wir müssen immer traurig und andächtig sein.“ Lieber das Leben genießen.