Winne-Who? Der Held, den kaum ein Kind mehr kennt

Die Karl-May-Bücher werden kaum noch gelesen. Aber die Festspiele in Elspe und Bad Segeberg sind für junge Besucher trotzdem attraktiv.

Foto: dpa

Elspe. Explosion im Sauerland: Am Ende knallt’s gewaltig bei „Winnetou II“, drei Bohrtürme stehen in Flammen, und der Bösewicht wird von einem Feuerteppich in die Tiefe gestürzt. Es ist der Höhepunkt bei den diesjährigen Karl-May-Festspielen in Elspe. Bis September werden dafür wohl wieder 200 000 Menschen ins Sauerland pilgern — und sogar 370 000 nach Bad Segeberg in Schleswig-Holstein. Dabei werden die Werke des sächsischen Schriftstellers aus dem Wilhelminischen Deutschland kaum noch gelesen. Winne-Who? Der Häuptling der Apachen ist heute ein Unbekannter.

„Das liegt zum einen am Genre Western, das heute im Prinzip keine Rolle mehr spielt“, erläutert die Medienwissenschaftlerin Maya Götz aus München, Expertin für Heldenfiguren. „Wir haben seinerzeit eine komplett andere Fernsehsituation gehabt. Da gab es nur wenige für die Familie oder Kinder wirklich hochattraktive Abenteuergeschichten, und das waren dann eben vor allem auch die Karl-May-Filme. Diese Rolle haben jetzt Filmserien wie Harry Potter oder Herr der Ringe übernommen. Das sind ganz andere Fantasywelten, in denen spektakuläre Computeranimationen eine große Bedeutung haben.“

Zeige man Kindern die alten Karl-May-Filme mit Pierre Brice aus den 60er Jahren, funktionierten diese aber immer noch. Überhaupt hat das Indianer-Genre nach Einschätzung von Götz einen großen Vorteil gegenüber Science-Fiction-Serien wie „Star Wars“: „Indianer — das ist sehr viel dichter an der eigenen Spielwelt. Nachspielen ist für Kinder hochattraktiv. Anschleichen oder am Marterpfahl stehen. Ich kann mir vielleicht auch noch vorstellen, mit einem Pferd einen Abhang hinunterzureiten. Aber ein Raumschiff durchs Weltall zu steuern — das eher nicht. Das ist zu weit von meiner Lebenswirklichkeit entfernt.“

Die anhaltende Anziehungskraft der Karl-May-Spiele in Elspe und Bad Segeberg erklärt sich für Götz vor allem daraus, dass es spannendes Event-Theater ist. „Da kann ich ganz viel gucken, da sind Pferde, Eisenbahnen, Explosionen. Das ist also quasi ein sehr viel aufwendigeres Theaterstück. Normales Theater ist für Kinder oft ein bisschen langweilig, verglichen mit dem, was sie sonst sehen.“

Auch der Winnetou-Darsteller in Elspe, Jean-Marc Birkholz („Polizeiruf 110“/„SOKO Leipzig“), hat schon längst festgestellt: „Natürlich kennen die Kinder die Bücher nicht mehr.“ Deshalb könnten sie mit Winnetou auch zunächst mal nicht viel anfangen. „Aber sie kommen dann sofort rein. Gut gegen Böse — das ist ihnen vertraut. Und die Geschichten sind so einfach strukturiert, dass sie sofort wissen, wer der Held ist.“ Das Schöne sei, dass das Geschehen auf der Bühne sie sofort zum Nachspielen animiere: „Das sehe ich manchmal schon in der Pause.“

Der elf Jahre alte Lennart aus Köln, der schon seit mehreren Jahren nach Elspe fährt, steht eigentlich eher auf Flash, Hulk und Superman. Aber die etwas altmodische Abenteuerwelt auf der Naturbühne weiß er ebenso zu schätzen: „Die Hauptpersonen bei Marvel sterben sowieso nicht. Bei Winnetou weiß man nie. Das ist voll realistisch — und das macht es spannender.“