„Wir schaffen das, Clov!“

Salzburg (dpa) - Zunächst eine erfreuliche Erkenntnis: Das tot gesagte Schauspielertheater lebt. Es ist sogar quicklebendig, allen anderslautenden Behauptungen der Protagonisten des sogenannten postdramatischen Theaters zum Trotz.

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Und es kann immer noch begeistern, wie die umjubelte Premiere einer Neuinszenierung von Samuel Becketts „Endspiel“ am Samstagabend bei den Salzburger Festspielen gezeigt hat. Es war eine besonders absurde Ausformung des absurden Theaters. Unter den applaudierenden Gästen im Landestheater war auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Ehemann Joachim Sauer.

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Es braucht keine Multimediashows auf offener Bühne, keine pseudo dokumentarisch zitternden Bilder von Bühnenkameras, keinen Kino-ähnlichen Soundtrack aus der Konserve, keine rotzenden, kotzenden, kaum verständlichen Schauspielerdarsteller. Es braucht nur Schauspieler, die ihr Handwerk verstehen. Und es braucht einen Regisseur, der nicht besser sein will als die Schöpfer jener Sprachkunstwerke, die er auf die Bühne zu heben gedenkt, sondern jemand, der aus dem Text und seinen Leuten nur das Beste, das Allerbeste, herausholen möchte.

Dieser jemand war an diesem denkwürdigen Salzburger Theaterabend Regie-Altmeister Dieter Dorn, der wie kaum ein anderer versteht, Potenziale auszuschöpfen. Der langjährige Intendant der Münchner Kammerspiele und des Münchner Residenztheaters weiß, wann er sich als Regisseur, als Interpret, zurückhalten muss. Die Sprachpartituren eines Samuel Beckett (oder eines Thomas Bernhard) würden zerbröseln, wenn man beginne, sie interpretieren zu wollen, sagte er zu seiner aktuellen Inszenierung.

„Nichts ist komischer als das Unglück“ - mit diesen Worten ist die Botschaft von Becketts „Endspiel“ schon ziemlich exakt umrissen. Vier Personen, Nell, die Mutter, Nagg, der Vater, Hamm, ihr Sohn und Clov, Hamms Diener, vielleicht auch sein Sohn, allesamt krank, unablässig mit der Welt und ihren Bewohnern hadernd, hoffnungslos, aber auch abgeklärt im Sinne der populären Nihilisten-Formel: „Du hast keine Chance, aber nutze sie“. In unzähligen Variationen lässt Beckett seine Protagonisten dieses Spiel „Endspiel“ durchexerzieren. Hier wartet niemand mehr, nicht auf Godot und schon gar nicht auf den Allmächtigen: „Der Lump! Er existiert nicht“, sagt Hamm.

Nicholas Ofczarek ist Hamm, der große, mühelos Raum füllende Burgschauspieler, der in Salzburg von 2010 bis 2012 schon den „Jedermann“ gegeben hatte. Wie King Lear thront er, blind, gelähmt und verlottert, auf einem Samtsessel mit gedrechselten Goldfüßen und lässt sich von Diener/Sohn Clov die Stichworte geben. Eigentlich ist das Stück ein gewaltiger, gut zweistündiger Monolog, an dessen Ende man Ofczarek anmerkt, wie er sich dabei verausgabt. Aber der Mann könnte auch das Kursbuch der Deutschen Bahn vorlesen, man würde ihm an den Lippen hängen.

Becketts absurder, wie ihn der Dramatiker selbst nennt, „Gruselschocker“, ist auch ein erzkomisches Stück. Vor allem in der Gestalt des Clov, den Michael Maertens zum slapstikhaften Buster Keaton-Double formt. Fabelhaft, wie er mit einer Leiter kämpft. Oder wie er den Kontakt zu Vater Nagg (Joachim Bissmeier)und Mutter Nell (Barbara Petritsch) aufrechterhält, die in zwei Mülltonnen hausen.

Dorns Bühnenbildner und Alter Ego Jürgen Rose hat für Becketts Absurdistan einen lausigen Sperrholzkasten zusammengezimmert, der zu Beginn langsam ans Publikum heranfährt, zum Ende sich wieder entfernt. Ein beeindruckender Zoom-Effekt mit ganz wenig Technik.

Das Publikum konnte nicht anders, als den Künstlern für einen großen Theaterabend Respekt zu zollen. Gerne hätte man gewusst, welche Gedanken der Kanzlerin in diesen zwei Stunden durch den Kopf gegangen sind, der Darstellerin eines ganz realen, absurden Welttheaters. „Wir schaffen das, Clov!“, könnte Hamm gesagt haben.