Bakterien fühlen sich auch unter der Ostsee wohl

Bremen (dpa) - Mit Hilfe von Bohrkernen aus dem Meeresboden will ein internationales Wissenschaftlerteam in Bremen die letzten Geheimnisse der Ostseeentwicklung enträtseln. Noch werden die 1,5 Meter langen Teilstücke mit insgesamt mehr als 1,6 Kilometern Länge zersägt und präpariert, fotografiert und untersucht.

Doch ein Ergebnis stellte der Geomikrobiologe von der dänischen Universität Aarhus, Bo Barker Jørgensen, am Donnerstag bereits vor: Im Sediment der Ostsee gibt es überraschend viele Bakterien.

Bis zu einer Milliarde Zellen pro Kubikzentimeter seien die höchsten Werten, die je in Bohrkernen gefunden wurden, sagte er. Wenn es gelinge, Erbsubstanz auch bei nicht mehr lebenden Bakterien zu entschlüsseln, könne man mehr über die Lebensbedingungen in der Vergangenheit erfahren. Das Team um Jørgensen nutzt eine spezielle Maschine, mit der Proben eingefroren werden können, ohne die Zellen zu zerstören. „Eine Erfindung der Sushi-Industrie“, sagt der Professor. So bleibt länger Zeit für Untersuchungen.

Das Projekt ist Teil des internationalen Ozean-Bohrprogramms IODP. Im September und Oktober 2013 waren an acht Stellen in der Ostsee und dem Kattegat Bohrkerne gezogen worden. Die 35 Forscher aus 12 Ländern quartierten sich für ihre Auswertungen im Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (Marum) der Universität Bremen ein, gleich neben einem riesigen Bohrkernlager. Dort werden bei konstant vier Grad Temperatur rund 250 000 Bohrkerne mit 6,3 Zentimeter Durchmesser in Plastikrohren aufbewahrt. Zusammen sind es 154 Kilometer.

Weltweit gebe es nur drei solcher Lager, erklärt Ursula Röhl. Sie ist für die Bremer Sammlung verantwortlich, in der alle Bohrkerne aus dem Atlantik, der Arktis, der Ostsee und dem Mittelmeer aufbewahrt werden. Mehr als 3000 Frauen und Männer aus 20 Ländern seien inzwischen zur Arbeit mit den Proben nach Bremen gekommen.

Michael Kenzler von der Universität Greifswald hat eine Probe aus 31 Metern Tiefe auf seinen Labortisch gelegt, die von der schwedischen Ostküste stammt. Das Sediment ist hart und von Steinchen verschiedener Größe durchsetzt. „Ein Gletscher hat das verdichtet“, sagt Kenzler. Grob geschätzt könnte das Sediment vor 20 000 Jahren abgelagert worden sein. Auf mehreren Monitoren erscheint eine hochauflösende Fotografie der Probe zum Vergleich. Alle Daten von einfachen Beobachtungen bis zur mikroskopischen und chemischen Analyse werden in einer Datenbank gespeichert.

Von jeder Probe bleibt eine Hälfte systematisch etikettiert im Lager, nur mit der anderen wird gearbeitet. „Dafür gibt es gute Gründe“, sagt Röhl. Denn immer wieder werden neue Untersuchungsmethoden oder -konzepte entwickelt.

Am Ende ihres Projekts hoffen die Wissenschaftler, offene Fragen zur Entwicklung der Ostsee und ihrer Ökologie seit der letzten Eiszeit beantworten zu können. Aus einem Eisstausee wurde innerhalb von 12 000 Jahren in mehreren Schritten das Meer mit seiner heutigen Gestalt. Der Ostseeraum ist während dieser Zeit durch stetige Landhebung - das schwere Eis hatte das Land nach unten gedrückt - und Sedimentation geprägt.

Thomas Andrén von der Universität Södertörn in Schweden drückt die Erwartung der Forscher an das Projekt mit einem Vergleich aus: Aus der noch etwas unscharfen Fotoserie der Ostseeentwicklung solle eine Reihe von klaren Satellitenbildern werden.