Chemie-Nobelpreis für Quasikristalle
Stockholm (dpa) - Erst Hohn und Spott, jetzt der Nobelpreis: Für die Entdeckung der Quasikristalle erhält der Israeli Daniel Shechtman nach fast 30 Jahren die höchste Auszeichnung für Chemie.
Seine Arbeit habe zu einem Paradigmenwechsel geführt, teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit. Shechtman sprach von einem „Festtag für die Wissenschaft auf der ganzen Welt“. Er hatte nach seiner Entdeckung jahrelang den erbitterten Widerstand und das Gelächter seiner Kollegen aushalten müssen - und flog aus seinem Forscherteam heraus.
Die bedeutendste Auszeichnung für Chemiker ist mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro (10 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert. Der 70-jährige Shechtman arbeitet ebenso wie seine Frau Zipi und ein Sohn des Paares an der Technischen Hochschule in Haifa.
Daniel Shechtman, der sich selbst Dan nennt, wollte am Mittwoch nicht unmittelbar auf die Auszeichnung reagieren. „Bitte haben Sie Verständnis - ich muss erst einmal meine Frau anrufen“, sagte er im Telefonat mit der Nachrichtenagentur dpa. Diese sagte später dem israelischen Rundfunk auf die Frage, wie sie ihren Mann gleich begrüßen werde: „Ich werde ihm einen Kuss geben.“ Viele Worte seien nicht nötig. Das Paar hat vier erwachsene Kinder und neun Enkel.
Die meisten Materialforscher hielten die von Shechtman beschriebenen Kristallstrukturen für nicht möglich, die an islamische Mosaike im mittelalterlichen Alhambra-Palast von Spanien erinnern. Sie dachten, es gebe entweder ganz regelmäßige Kristallgitter, etwa das streng symmetrisch aufgebaute Kochsalz, oder amorphe Stoffe, wie bestimmte Gläser. Shechtmans Quasikristalle aus Aluminium und Mangan waren mit ihrer fünfstelligen Symmetrie zwar geordnet, aber nicht periodisch aufgebaut.
„Seine Arbeit traf auf große Skepsis. Aber Dank der hohen Qualität seiner Daten konnte der Meinungsstreit beendet werden“, betonte der Chef des Chemie-Nobelkomitees, Lars Thelander. Der frisch gekürte Chemie-Nobelpreisträger gehörte nach Angaben seiner Frau Zipi zu den Professoren, über die man sich auf Fachkongressen heimlich lustig gemacht habe. Denn er glaubte nicht an die damaligen chemischen Dogmen, sondern vertraute dem, was er mit Hilfe seines Elektronenmikroskops selbst gesehen hatte.
Erste Ansätze für eine Anwendung der Quasikristalle gibt es schon: Daraus könnten sehr dünne und harte Nadeln entwickelt werden, die aber gleichzeitig nicht zerbrechen, erläuterte der emeritierte Materialphysiker Professor Östen Rapp von der Königlich-Technischen Hochschule Stockholm. Das habe sich das schwedische Stahlunternehmen Sandvik patentieren lassen. „In der Augenchirurgie gibt es Anwendungen. Und im Übrigen auch eine patentierte Bratpfanne in Frankreich.“ Shechtman selbst sei seines Wissens an der kommerziellen Auswertung seiner Arbeit überhaupt nicht interessiert.
„Das war ein Preis, der eigentlich schon vor einiger Zeit fällig gewesen wäre“, sagte Gerhard Ertl, Chemie-Nobelpreisträger von 2007, der Nachrichtenagentur dpa. Die Symmetrie der Quasikristalle widerspreche dem üblichen Ordnungsprinzip. Ähnliche Strukturen hatten schon zahlreiche Forscher zuvor gesehen, doch - wie vor der Entdeckung des Penizillins - keinerlei Schlüsse daraus gezogen.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gratulierte nach Angaben seines Büros dem frisch gekürten Nobelpreisträger mit den Worten: „Ich will Ihnen meine Glückwünsche zur Auszeichnung mit dem hoch angesehenen Preis übermitteln, der den Intellekt unseres Volkes ausdrückt.“ Er sagte zudem: „Jeder Bürger des Staates Israel ist heute glücklich und jeder Jude auf der Welt ist stolz.“
Erst vor zwei Jahren hatte eine Israelin einen Chemie-Nobelpreis erhalten: Ada Jonath war für die Erforschung der Eiweißfabriken in biologischen Zellen geehrt worden.
Am Dienstag hatte die Akademie den Physik-Nobelpreis Saul Perlmutter, Brian P. Schmidt und Adam G. Riess für die Entdeckung der beschleunigten Ausbreitung des Universums zuerkannt. Sie hatten dafür entfernte riesige Sternenexplosionen (Supernovae) beobachtet. Am Montag war der Medizin-Nobelpreis den Immunforschern Bruce Beutler, Jules Hoffmann und Ralph Steinman zugesprochen worden. Steinman war wenige Tage zuvor gestorben, er wird dennoch mit dem Preis geehrt.
Die feierliche Überreichung der Auszeichnungen findet am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.