Mit acht Jahren Verspätung Das Europa-Navi Galileo startet
Paris/Brüssel (dpa) - Mehrkosten in Milliardenhöhe, Streit, Verzögerungen und eine große Panne im All: Das europäische Satelliten-Navigationssystem Galileo stand lange unter keinem guten Stern.
Jetzt aber hat die EU-Kommission auf den Knopf gedrückt und mit acht Jahren Verspätung die ersten Galileo-Dienste gestartet. Damit können die Signale der europäischen Satelliten zur Positionsbestimmung etwa für Kartendienste auf Smartphones genutzt werden. Ein Schritt zu europäischer Unabhängigkeit in einem strategisch wichtigen Bereich.
Der Jubel in Brüssel ist groß, dort feiert man Galileo als Symbol für die Vorteile eines geeinten Europas. „Kein europäisches Land hätte das im Alleingang vollbringen können“, erklärte Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska.
Positionsdaten aus dem All haben schon jetzt eine wichtige Bedeutung, die künftig noch wachsen wird. „Es wird immer smartere Dienste geben“, sagt Hansjörg Dittus vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Selbstfahrende Autos sind ebenso darauf angewiesen wie Maschinen zur automatischen Düngung von Feldern. Banken brauchen die präzisen Zeitangaben der Satelliten für ihre Transaktionen, und auch das Militär verwendet die Daten.
Bislang muss Europa dabei auf Technik anderer Länder vertrauen, vor allem das amerikanische GPS, das vom US-Militär kontrolliert wird und damit in einer Krise auch abgeschaltet werden könnte. Dies ist das zentrale Argument der Europäer für das Prestigeprojekt von EU-Kommission und Raumfahrtagentur Esa, das wegen der hohen Kosten immer wieder in die Kritik geriet. Zudem versprechen sie, dass Galileo deutlich genauer ist und damit neue Möglichkeiten eröffnet.
Bis Europäer sich allein auf das eigene System verlassen können, werden allerdings noch ein paar Jahre vergehen. Galileo startet mit vielen Einschränkungen: Erst 2020 werden genug Satelliten im All sein, um die ganze Welt abdecken zu können. Bislang sind 18 Satelliten im Orbit, die meisten davon gebaut von OHB in Bremen. 30 Satelliten sollen es schließlich werden. Die Folge: „Es gibt immer wieder Löcher“ in der Abdeckung, erklärt DLR-Vorstandsmitglied Dittus. Der Start der ersten Galileo-Dienste ist aus seiner Sicht aber ein wichtiger Schritt. Man könne nun die Entwicklung von Endgeräten vorantreiben, sagt er.
Da ist noch einiges zu tun. Bislang sind nur wenige Alltagsgeräte auf dem Markt, die zusätzlich zum amerikanischen GPS-System bereits die Galileo-Signale nutzen können. So listet die EU-Kommission erst zwei Galileo-fähige Smartphone-Modelle auf - Endnutzer dürften damit zunächst nur wenig von Galileo mitbekommen. Hansjörg Dittus erwartet aber, dass Anbieter ihre Geräte künftig alle mit Chips ausstatten, die auch Galileo-Signale empfangen können - denn je mehr Signale die Geräte nutzen können, desto größer ist die Genauigkeit.
Seit der Entscheidung für Galileo sind bereits 17 Jahre vergangen, ursprünglich hätten die Dienste bereits 2008 an den Start gehen sollen. Wegen Streitigkeiten unter den Firmen eines einst vorgesehenen Industrie-Konsortiums sowie den Regierungen um den Sitz von Kontrollzentren gab es aber immer wieder Verzögerungen. Auch die Kosten explodierten. Während ursprünglich von drei Milliarden Euro die Rede war, sind für Entwicklung und Betrieb nun 13 Milliarden Euro bis 2020 angesetzt.
„Die erste Schwierigkeit war eine Fehleinschätzung der Frage des Marktes“, sagte Esa-Chef Jan Wörner vor Kurzem der Deutschen Presse-Agentur. In den Kalkulationen ging man anfangs davon aus, dass auch die Basisdienste verkauft werden könnten, obwohl sie bei GPS kostenlos sind. „Wer würde bezahlen für einen Dienst, der ein bisschen besser ist, wenn ich den für die praktischen Belange selben Dienst ohne Bezahlung bekomme?“ Die Positionsdaten bleiben nun kostenlos, später soll es aber weitere Angebote mit besonders präzisen Daten geben, für die Geld kassiert wird.
Wörner betonte, dass die Ansprüche an Galileo höher seien als an das erste GPS-System der Amerikaner. „Und die Amerikaner haben deutlich länger gebraucht. Das vergisst man nur, weil alles schon da ist.“
Auch technisch lief bei Galileo nicht immer alles rund. Einer der ersten vier Testsatelliten sendet inzwischen nicht mehr, 2014 wurden zwei Satelliten zudem auf eine falsche Umlaufbahn gebracht. Ihr Orbit konnte inzwischen zwar korrigiert werden und sie können etwa für die Grundlagenforschung genutzt werden, doch als operative Satelliten der Galileo-Flotten fallen sie aus.
Inzwischen scheinen diese Schwierigkeiten allerdings überwunden, es hat sich eine gewisse Routine entwickelt: Allein in den vergangenen zwei Jahren wurden zwölf Satelliten vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou ins All gebracht. Im November flogen erstmals vier Galileo-Satelliten auf einmal mit einer Ariane-5-Rakete in den Orbit. Die nächsten Starts sind für Sommer 2017 und Anfang 2018 geplant.
Das Projekt dürfte europäischen Satelliten- und Raketenbauern auch künftig regelmäßige Aufträge bringen. Denn wenn das System 2020 steht, ist das nicht das Ende der Geschichte. Die zweite Galileo-Generation wird schon vorbereitet: Weil die Lebensdauer der Satelliten begrenzt ist, müssen sie regelmäßig ersetzt werden. Zu den dann zu erwartenden Betriebs- und Ersatz-Kosten schweigt sich die EU-Kommission in Brüssel derzeit noch aus. Experten sprechen von einem dreistelligen Millionenbetrag - pro Jahr.