Forscher nisten menschliche Embryonen in Labormedium ein
Cambridge/New York (dpa) - Erstmals haben Forscher die Entwicklung menschlicher Embryonen zwei Wochen lang detailliert in Kulturschalen beobachtet. Die Embryonen setzten sich im Alter von etwa einer Woche an eine künstliche Substanz statt in die Gebärmutter und entwickelten sich weiter.
In einem Prozess der Selbstorganisation schlügen die Embryozellen unterschiedliche Entwicklungswege ein, völlig unabhängig von mütterlichen Einflüssen, berichten die Wissenschaftler in zwei Studien. Ihre Arbeiten könnten unter anderem dazu beitragen, die Ursachen von sehr frühen Fehlgeburten besser untersuchen zu können.
Wissenschaftlich hoch interessant findet Dieter Birnbacher, Vorsitzender der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, die Experimente. Bisher sei es nicht möglich gewesen, die Vorgänge rund um die Einnistung des Embryos außerhalb des Mutterleibes zu untersuchen. „Wir sind aber dennoch meilenweit entfernt von der Vision einer Ektogenese, also dem Heranzüchten eines Kindes außerhalb des Mutterleibes“, betont Birnbacher. Interessant seien die Ergebnisse auch aus ethisch-philosophischer Sicht. Sie untermauerten die auch dem deutschen Embryonenschutzgesetz zugrundeliegende Annahme, dass ein Embryo das Potenzial zur Selbstorganisation aus eigenen Ressourcen mitbringt.
In einem Kommentar zu den Studien fordern die US-Wissenschaftler Insoo Hyun, Amy Wilkerson und Josephine Johnston die bisher in vielen Ländern praktizierte „14-Tage-Regel“ auf den Prüfstand zu stellen. Nach dieser Regel dürfen Embryonen maximal 14 Tage außerhalb des mütterlichen Körpers im Labor heranwachsen. Die vorgestellten Untersuchungen befänden sich auf Kollisionskurs mit dieser Linie, schreiben die Kommentatoren in „Nature“. Da nun die Kultivierung menschlicher Embryonen über den 14. Tag hinaus greifbar erscheine, müsse die Regelung neu überdacht werden, um auch in Zukunft der Forschung und eventuellen moralischen Bedenken gerecht zu werden.
Die „14-Tage-Regel“ gelte für Embryonenforscher in Ländern wie Australien, Kanada und den USA, aber auch in einigen europäischen Ländern wie Dänemark, Schweden oder Großbritannien. In einigen dieser Länder sei sie im Gesetz verankert, in anderen Teil wissenschaftlicher Richtlinien.
In Deutschland wären solche Versuche ohnehin nicht möglich. Das Embryonenschutzgesetz verbietet die Forschung an Embryonen komplett. Embryonen dürfen hier einzig mit dem Ziel erzeugt werden, eine Schwangerschaft herbeizuführen, also etwa im Rahmen einer künstlichen Befruchtung.
Befruchtete Eizellen nisten sich etwa am Tag sieben ihrer Entwicklung als kugeliger Zellhaufen in der Gebärmutterschleimhaut ein. Anschließend spezialisieren sich die Zellen. Aus einigen geht der Embryo selbst hervor, aus anderen die Plazenta, die seine Ernährung in der Schwangerschaft sicherstellt. „Dieser Teil der menschlichen Entwicklung war eine völlige Black-Box“, berichten die Forscher um Ali Brivanlou von der Rockefeller University in New York, der das erste Team geleitet hat.
Um die Abläufe besser zu untersuchen, nutzten sie eine Technik, die Magdalena Zernicka-Goetz von der University of Cambridge, Leiterin der zweiten Forschergruppe, zuvor an Mäusen etabliert hatte. Dabei kultivieren die Wissenschaftler die Embryonen mit Hilfe einer optimierten Nährlösung und stellen ihnen ein Gerüst bereit, an dem sie sich anheften können.
Durch chemische Markierungen verschiedener Zelltypen in dem Embryo verfolgten die Wissenschaftler dessen Entwicklung. Sie wurden so Zeuge, wie sich der Epiblast - jene Zellen, aus denen im Verlauf der Schwangerschaft das komplette Kind entsteht - von den beiden Zell-Linien trennt, aus denen die Plazenta und der Dottersack hervorgehen. „Erstaunlicherweise verlief die Entwicklung in unserem System in der völligen Abwesenheit mütterlichen Inputs mindestens in den ersten zwölf Tagen normal“, sagte Brivanlou in einer Mitteilung der Rockefeller University. Beide Teams stellten die Versuche in Übereinstimmung mit den internationalen Vereinbarungen zur Forschung an Embryonen nach zwei Wochen ein.
Das Zellkultursystem ermögliche es zu untersuchen, warum einige Schwangerschaften so früh enden und warum die Methoden der künstlichen Befruchtungen so geringe Erfolgsraten besitzen, hoffen die Wissenschaftler. Außerdem könne die Technik genutzt werden, um die Entwicklung von Therapien mit embryonalen Stammzellen voranzubringen.
Die Studien legten die Grundlage für ein besseres Verständnis der embryonalen Entwicklung über die Einnistung hinaus, schreibt Janet Rossant vom Hospital for Sick Children in Toronto (Kanada) in einem erläuternden Kommentar zu den Studien. Mit ihrer größtenteils abgeflachten und zwei-dimensionalen Gestalt seien die kultivierten Embryonen aber eindeutig keine perfekten Modelle der normalen dreidimensionalen embryonalen Entwicklung.