Schwindende Gletscherseen: faszinierendes Naturschauspiel
Woods Hole (dpa) - Einige der großen Gletscherseen Grönlands können binnen eines Tages verschwinden - manche sogar innerhalb weniger Stunden.
Die Ursache dieses Schauspiels haben US-Forscher nun genauer ergründet: Ein Gleitfilm aus Wasser im Untergrund ist demnach ein entscheidender Faktor, berichten sie in der Fachzeitschrift „Nature“. Wichtig ist das Ergebnis auch für Berechnungen zum Klimawandel.
Die grönländischen Gletscherseen entstehen im Sommer, wenn die Sonneneinstrahlung die Eisdecke anschmilzt. Einer von ihnen ist der North Lake im Westen Grönlands, der einen Durchmesser von 2,5 Kilometern erreichen kann und sich auf einer fast einen Kilometer dicken Eisdecke bildet. Er gehört zu den etwa 13 Prozent der Seen, die binnen eines Tages verschwinden können.
Bereits 2006 berichteten Wissenschaftler, dass der See sich binnen kurzer Zeit durch einen kilometerlangen Riss im Eis unter dem See entleeren kann. Bekannt ist den Geologen, dass sich solche Risse nur dann bis zum Grund fressen können, wenn sie vollständig mit Wasser gefüllt sind. Doch das allein könne die Rissöffnung nicht auslösen, schreiben die Forscher um Laura Stevens vom Massachusetts Institute of Technology in Woods Hole (Massachusetts/USA). Sonst könne sich schließlich nie ein großer See bilden.
Die Wissenschaftler verteilten Messstationen, die das Satellitensystem GPS in hoher Auflösung nutzen, rings um den North Lake. Damit maßen sie die Eisbewegungen bei drei Seeentleerungen in den Jahren 2011, 2012 und 2013. Die Stationen registrierten jeweils sechs bis zwölf Stunden vor dem Beginn des Ablaufens ein Anheben des Eises um mehr als 20 Zentimeter.
Mit den Messungen und einem errechneten Modell stellt sich der Ablauf für die Forscher wie folgt dar: Wenn das Wasser des North Lake eine benachbarte Gletschermühle (Moulin) erreicht, läuft Schmelzwasser bis zum Grund des Gletschers. Dieses Wasser bildet einen Gleitfilm zwischen dem Eis und dem Felsenuntergrund und der Eispanzer gerät in Bewegung - was sich wiederum durch ein Anheben des Eises bemerkbar macht. In der Folge entstehen Spannungen im Eis, die dazu führen, dass sich der vorhandene Riss unter dem See weiter öffnet und der North Lake in den Gletscher läuft. Das Wasser lässt den Gletscher noch stärker gleiten. Später friert der Riss teilweise wieder zu.
Angelika Humbert von der Sektion Glaziologie des Alfred-Wegner-Instituts in Bremerhaven spricht von einer „spannenden Studie“. Sie biete vor allem einen Ansatz zur Beurteilung von Gletscherseen, die wegen des Klimawandels in immer höher gelegenen Regionen Grönlands entstehen. „Die Studie zeigt, dass die Drainage eines Gletschersees nur dort erfolgt, wo schon Risse vorhanden sind. In den höheren Lagen gibt es meist keine Risse, so dass die oberflächlichen Seen nach diesen Erkenntnissen nicht zu einer schnelleren Bewegung der Gletscher führen werden.“