Seltsame Strahlen: Wie Becquerel die Radioaktivität entdeckte
Paris/Berlin (dpa) - Es war ein trüber Sonntag Anfang 1896, als Antoine-Henri Becquerel seine Fotoplatten entwickelte.
Das Ergebnis überraschte den französischen Physiker: Die sorgfältig lichtdicht verpackten Platten waren viel stärker geschwärzt als er erwartet hatte. Die Ursache schien eine unsichtbare Strahlung zu sein, die von bestimmten Uransalzen ausging und mühelos das schwarze Einwickelpapier durchdrang. „Becquerel untersuchte schon seit einiger Zeit die Wirkung fluoreszierender Salze auf Fotoplatten und war nun auf eine neue Strahlung gestoßen, die später als natürliche Radioaktivität bezeichnet wurde“, schildert der Berliner Physikhistoriker Horst Kant vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte.
Angeregt hatte Becquerel zu seinen Experimenten die Entdeckung der X-Strahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen wenige Wochen zuvor. Diese X-Strahlen, die später nach Röntgen benannt wurden, schienen von einem fluoreszierenden Fleck auf der verwendeten Röhre auszugehen. Becquerel untersuchte, ob auch fluoreszierende Uransalze X-Strahlen abgeben. Er platzierte die Salze dazu auf einer eingepackten Fotoplatte und ließ diesen Aufbau mehrere Stunden in der Sonne, um die Salze zum Leuchten anzuregen. Tatsächlich fand er eine Schwärzung der Platte in den Umrissen der Probe. Am 24. Februar 1896 berichtete Becquerel der Akademie der Wissenschaften in Paris erstmals über seine Beobachtungen.
„Für die nächste Sitzung der Akademie wollte Becquerel weitere Experimente durchführen, das Wetter in jener letzten Februarwoche war jedoch sehr trübe“, erläutert Kant. Eher zufällig entwickelte Becquerel an jenem trüben Sonntag vor der nächsten Akademiesitzung die kaum belichteten Fotoplatten mit. „Aus der überraschend starken Schwärzung schloss er korrekt, dass die Anregung der Salze durch Sonnenlicht nicht nötig war, sondern die Strahlung eine dauerhafte Eigenschaft der Salze war“, berichtet Kant.
Dennoch blieb es zunächst relativ still um Becquerels Uranstrahlen. Der Entdecker selbst veröffentlichte 1896 zwar immerhin sieben Fachaufsätze über die Strahlung, ein Jahr später aber nur noch zwei und im darauffolgenden Jahr keinen mehr. Die Forschergemeinde beschäftigte sich zu jener Zeit mit zahlreichen mehr oder weniger neuen Arten von Strahlung wie Röntgens X-Strahlen, den sogenannten Kanalstrahlen, Radiowellen und vielem mehr, unter denen die Becquerel-Strahlung zunächst nicht besonders bedeutend wirkte.
Erst als der deutsche Chemiker Gerhard Carl Schmidt und das französische Forscherpaar Marie und Pierre Curie mit Thorium, Polonium und Radium weitere strahlende Elemente entdeckten, bekam die Forschung an den Becquerel-Strahlen Aufwind. Marie Curie taufte das Phänomen Radioaktivität. 1903 teilte sich Becquerel mit dem Ehepaar Curie den Physik-Nobelpreis für die Entdeckung und Erforschung der natürlichen Radioaktivität. „Die Entdeckung hat eine neue Eigenschaft der Materie enthüllt“, betonte das Nobelkomitee damals. Und damit breche eine neue Ära in der Physik an.
Damals hatten der Brite Ernest Rutherford und der Franzose Paul Villard bereits die drei verschiedenen Arten radioaktiver Strahlung entdeckt, Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlung. „Aus unserer heutigen Sicht hatte Becquerel die Beta-Strahlen-Komponente beobachtet, allerdings nicht von Uran, sondern vom ersten Tochterprodukt der Uran-Zerfallsreihe, Thorium-234“, erläutert Wissenschaftshistoriker Kant.
Tatsächlich war Becquerel nicht der erste, der radioaktive Strahlung beobachtete, wie Kant schildert: „Sein Landsmann Claude Félix Abel Niépce de Saint-Victor hatte bereits 38 Jahre zuvor bemerkt, dass Uransalze fotografische Platten schwärzen. Die Bedeutung wurde damals jedoch nicht erkannt und die Arbeit wieder vergessen.“ Becquerels Beobachtungen hätten der Physik dann jedoch das ganz neue Forschungsgebiet der Radioaktivität eröffnet. „Zugleich schlug die Entdeckung das erste Kapitel der Kernphysik auf.“