StudiVZ: Die virtuellen Selbstdarsteller
Psychologie: Wer auf der Internet-Seite StudiVZ einen Steckbrief erstellt, kann die Darstellung der eigenen Person besser kontrollieren als im Alltag. Trotzdem fehlt unsicheren Menschen auch online der Mut zu neuen Kontakten.
Düsseldorf. Lena hält sich selbst für "blond, hübsch und verdammt clever". Die 21-jährige Jura-Studentin ist Fan von Amy Winehouse und Robbie Williams, liest gerne Krimis und steht dazu, bei traurigen Filmen immer heulen zu müssen. "Ich bin nicht dumm, nur manchmal sag’ ich dumme Sachen", bekennt sie, aber: "Ich lästere nicht, ich stelle nur fest."
All das und noch viel mehr kann man von Lena erfahren, ohne je mit ihr selbst oder einem ihrer Bekannten gesprochen zu haben. Ein Klick ins Internet genügt: In so genannten "sozialen Netzwerken" wie StudiVZ (Studierendenverzeichnis) oder dem amerikanischen Vorbild Facebook haben Millionen junger Menschen Steckbriefe mit Fotos und persönlichen Informationen erstellt. Und in diesen virtuellen Poesiealben geben sie vielfach Dinge preis, die man vor ein paar Jahren wohl nur seinen engsten Freunden verraten hätte. Selbstdarstellung im Internet liegt im Trend.
Wer zeigt wie viel in seinem Steckbrief?
Der große Vorteil: Bei der Gestaltung eines solchen StudiVZ-Profils kann man lange überlegen, welches Bild man von der eigenen Person vermitteln möchte und auf welchem Foto man am besten aussieht. Auch in normalen Gesprächen im Alltag haben wir das Ziel, einen möglichst günstigen Eindruck zu erwecken - dann allerdings eher unbewusst. "Impression Management" nennen das Sozialpsychologen. Aber wer einen Online-Steckbrief von sich erstellt, hat mehr Zeit, mehr Kontrolle und mehr Möglichkeiten, die Selbstdarstellung zu optimieren - sozusagen: "Impression Management" in der Version 2.0.
Allerdings ist das ein durchaus komplexer Prozess. Denn: Wer in seinem Profil nur von Studium und Nebenjobs schreibt, wird womöglich als Streber eingeschätzt, während man mit einem witzigen Text schnell als Spinner da stehen kann.
Die Faktoren, die diese komplizierte Form der Selbstdarstellung bestimmen, sind bislang kaum erforscht worden. Es stellt sich vor allem die Frage, welche Eigenschaften des Nutzers die Gestaltung der Online-Profile bestimmen. Wie hängen "Offline"-Persönlichkeit - die Eigenschaften, die ihn im realen Leben prägen - und Online-Selbstdarstellung zusammen?
Denkbar wäre zunächst, dass sich vor allem schüchterne und unsichere Menschen ins Internet flüchten, weil sie in der Realität Probleme haben. Dazu passen Forschungsergebnisse, dass introvertierte Personen die Kommunikation im Internet stark bevorzugen - und die gängige Vorstellung, dass sich in Chatrooms vor allem einsame und unattraktive Teenager tummeln.
Während man aber im Chat problemlos schummeln kann und sich als 18-jähriges Model mit Traumfigur ausgeben kann, ist man im StudiVZ näher an der Realität: Die Nutzer sind in der Regel mit ihrem richtigen Namen registriert und kommunizieren mit Leuten, die sie schon aus dem realen Leben kennen. Dem "digitalen Maskenball" sind Grenzen gesetzt - und deshalb spielen Schüchternheit und Unsicherheit wohl wieder eine Rolle.
So weit die Vermutungen - wie es tatsächlich aussieht, wurde jetzt mit einer Studie an der Universität Duisburg-Essen geprüft. In dieser sollten die Teilnehmer zunächst einen Persönlichkeitsfragebogen ausfüllen (zum Beispiel mit Fragen über Schüchternheit und Selbstwertgefühl). Danach wurden ihre StudiVZ-Profile analysiert: Wie viele virtuelle Freunde hat der Nutzer? In wie vielen Gruppen ist er Mitglied? Schreibt er einen seriösen oder locker-unterhaltsamen Steckbrief-Text? Hat er ein normales Passbild als Benutzerfoto ausgewählt - oder ein Foto von der letzten Uni-Party, mit Bierflasche in der Hand?
Nach der Analyse wurde geprüft, inwieweit Persönlichkeitswerte und Steckbriefgestaltung miteinander verbunden sind. Laut Statistik zeigt sich dabei, dass extrovertierte Menschen dazu neigen, ein ungewöhnliches, zum Beispiel grafisch bearbeitetes Benutzerfoto zu wählen. Die durchschnittliche Anzahl der Freunde unterscheidet sich aber nicht von der introvertierter Personen.
Einen weitaus größeren Effekt hat dagegen das Gefühl, sich selbst vor anderen Menschen gut präsentieren und bei anderen im Gespräch einen guten Eindruck hinterlassen zu können. Diese sogenannte "Selbstwirksamkeitserwartung" aus dem realen Leben spielt demnach auch in der virtuellen Welt eine große Rolle. Die Ergebnisse der Studie zeigen: Wer sich im Alltag für einen guten "Selbstdarsteller" hält, hat auch im StudiVZ mehr Freunde, schreibt einen lockereren und längeren Steckbrief-Text und zeigt ungewöhnlichere Profilbilder. Nutzer mit einem geringen Selbstwirksamkeitsgefühl geben dagegen nur die nötigsten Informationen preis und zeigen meist ein Standard-Passfoto als Profilbild.
In erster Line ist das ein Beleg dafür, dass die sogenannten "soziale Netzwerke" auch wirklich sozial sind. Anders als in Chats oder Internet-Spielen ist es hier offenbar so, dass verstärkt soziale Fähigkeiten aus dem realen Leben von Bedeutung sind. Wer im Alltag unsicher ist, dem fehlt also offenbar auch online der Mut zu neuen Kontakten.
Das klingt ernüchternd - ist aber auch ein Hinweis darauf, dass die Steckbriefe im Online-Poesiealbum durchaus etwas über die Personen, die dahinter stecken, verraten. Dazu passen Forschungsergebnisse von Samuel Gosling, Psychologe an der Universität Texas, der die Wahrnehmung von Online-Steckbriefen überprüfte: Die Teilnehmer seiner Studie sollten (unbekannte) Personen anhand ihrer Facebook-Profile einschätzen. Enge Freunde dieser Personen sollten ebenfalls Charaktereigenschaften beurteilen. Dabei stellte sich heraus, dass diese Einschätzungen häufig sehr ähnlich waren. Wer sich einen Online-Steckbrief anschaut, bekommt also vielfach ein relativ genaues Bild der Person.
Karrierekiller StudiVZ: Der Personalchef liest mit
Das ist praktisch für alle Neugierigen - kann demjenigen, der sich im Internet allzu hemmungslos präsentiert, aber auch schnell zum Verhängnis werden. Laut einer Umfrage des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater prüft mittlerweile jeder dritte Personalchef, was über seine Bewerber im Internet zu finden ist - und stößt dabei vermutlich auf viele zutreffende, aber aus beruflicher Sicht nicht gerade eben vorteilhafte Selbstdarstellungen. Bevor sich Jura-Studentin Lena auf eine Stelle als Anwältin bewirbt, sollte sie ihr Profil also noch einmal überarbeiten - und aus StudiVZ-Gruppen wie "Halb betrunken ist weggeschmissenes Geld" und "Ich habe solange ein Motivationsproblem, bis ich ein Zeitproblem habe" austreten.
Freunde: In der Stichprobe hatte der durchschnittliche StudiVZ-Nutzer 92virtuelle Freunde und war Mitglied in 28 Diskussionsgruppen.
Private Informationen: Viele Nutzer präsentierten in ihren Profilen auch sehrprivate Informationen: 62 Prozent gaben ihren "Beziehungsstatus" (solo,"Romanze", vergeben oder verheiratet) an, 33 Prozent ihre politische Gesinnung(links, rechts oder Mitte).
Nutzung: Im Mittelpunkt steht die Kommunikation mit Leuten, die man bereitskennt - sagte ein Großteil der Befragten. Zum Teil wird dadurch die Nutzung vonE-Mail und SMS ersetzt.