Was sich mit Kunststoff so alles machen lässt
Plastiktüten, Getränkeflaschen, Klappstühle. Dass Kunststoff vielseitig verwendbar ist, gehört zu unseren täglichen Erfahrungen. Dabei ist noch viel mehr möglich. Chemiker entwickeln Funktionswerkstoffe, die Körperteile ersetzen oder Wüsten begrünen können.
Plastiktüten, Getränkeflaschen, Klappstühle. Dass Kunststoff vielseitig verwendbar ist, gehört zu unseren täglichen Erfahrungen. Dabei ist noch viel mehr möglich. Chemiker entwickeln Funktionswerkstoffe, die Körperteile ersetzen oder Wüsten begrünen können. Wie die Zukunft aussieht, beschreibt unserer Mitarbeiter Volker Budinger.
Superabsorber nennen Fachleute jenen Kunststoff, der in Lage ist, das bis zu 1000fache seines Eigengewichts an Wasser aufzusaugen und zu speichern. In Windeln sorgt seit den 80er-Jahren der Kunststoff mit Namen Polyacrylat dafür, dass des Nachwuchs’ Pipi nicht aus seinen frischen Wickeln tröpfelt und das Kleine ungestört von einer Windel-Pfütze sein junges Dasein genießen kann.
Nimmt man nun das gleiche Material und mengt es unter Pflanzenerde, so sorgt der Superabsorber dafür, dass selbst kleine Mengen Wasser längere Zeit in der Nähe der Pflanzenwurzeln im Boden gespeichert bleiben. Diesen Effekt haben auch Tongranulat oder Gesteinsmehl, jedoch nicht ausreichend genug für die extremen Bedingungen in Wüstenregionen. Ohne die Hilfe aus dem Labor würde das kostbare Nass in den kultivierten Wüsten also entweder versickern oder verdunsten und wäre so für die Pflanzen verloren.
Die Alternative zum Kunststoff besteht darin, riesige Mengen Wasser einzusetzen, um die Verdunstung auszugleichen. Der Kunststoff wirkt wie ein winziger Schwamm Vorstellen kann man sich den Kunststoff wie einen winzigen Schwamm. Auf molekularer Ebene bildet das Material ein feines, aber lockeres Netzwerk.
Kommt der Superabsorber mit einer wässrigen Flüssigkeit wie Urin oder Wasser in Berührung, so dringen die Wassermoleküle ein und straffen das Netz, die Flüssigkeit wird festgehalten. Mit dem Erreichten sind die Chemiker aber noch nicht zufrieden. So laufen etwa Forschungen, solche Superabsorber stärker zu machen.
Auch die Herstellung aus dem Naturprodukt Stärke wird erforscht. In Düsseldorf arbeitet ein Team um Professor Helmut Ritter am Institut für Organische Chemie und Makromolekulare Chemie der Heinrich-Heine-Universität daran, das Material für die Anwendung in der Landwirtschaft zu verbessern. "Unsere Aufgabe ist, die Superabsorber biologisch abbaubar zu machen", erläutert der Chemiker.
Den Kunststoff verwendet man mittlerweile auch in Wasserbetten oder in Alkalibatterien. Auch bei Überschwemmungen hat sich das Material als hilfreich erwiesen und könnte den klassischen Sandsack ersetzen. Im Weltraum findet man ihn ebenfalls - in den Windeln der Astronauten bei ihren mehrstündigen Außeneinsätzen.
Kunststoffe müssen nicht immer starr und fest sein, so wie man sie etwa als Legoklötze oder Armaturenbretter im Auto vor dem geistigen Auge hat. Auch in Gelform sind sie verbreitet. Eine Anwendung dafür gibt es etwa in der Medizin. Das Auge der Säugetiere, also auch das des Menschen, kann man mit einem sehr festen Ball vergleichen, dessen Inneres mit einer gallertigen Flüssigkeit gefüllt ist. Bei einer Operation, etwa um eine Netzhautablösung zu heilen, geht ein Teil der Flüssigkeit verloren.
Sie muss ersetzt werden, um den Augeninnendruck zu erhalten, der dem Organ Stabilität verleiht. An dieser Stelle soll in Zukunft ein neuer Funktionswerkstoff aus Kunststoff helfen. Daran wird auch in Düsseldorf geforscht. "Wir haben derzeit neun verschiedene Gele in der Erforschung", berichtet Professor Helmut Ritter. Kunststoff-Linsen im Auge helfen, wieder zu sehen Bisher wurde in der Augenmedizin mit Silikon gearbeitet.
Das hat allerdings Nachteile, es trübt sich im Laufe der Zeit ein, verursacht so Sehstörungen und damit auch bei vielen Patienten Angstzustände. Bereits verwendet werden auch Linsen aus Kunststoff, etwa wenn infolge des Grauen Stars die natürliche Linse trübe geworden ist. Der Ersatz für das Körperteil erfüllt dabei bereits viele Ansprüche.
Je nach Produkt ähneln die künstlichen Linsen Kunststofffolien, passen zusammengefaltet durch eine Kanüle und entfalten sich im Auge. Manche sind sogar mittels Laser nachschärfbar. Viele dieser "Ersatzteile" haben aber noch einen entscheidenden Nachteil. Wenn sie zum Schutz der Netzhaut über einen UV-Filter verfügen, kommt es bei einigen Patienten zu einem Blaustich in ihrer Farbwahrnehmung.
Unter anderem in Düsseldorf arbeiten die Forscher daher daran, diese künstlichen Linsen zu verbessern. Die neuen Funktionswerkstoffe sind bereits in fast aller Munde. In den Industriestaaten werden beim Zahnarzt kaum noch Füllungen aus Amalgam gemacht. Viele Löcher füllt bereits eine Masse aus Kunststoff, die mit UV-Licht gehärtet wird. Aber auch da ist die Forschung noch längst nicht am Ende.
"Unser Ziel ist es, einen vollwertigen Ersatz für Amalgam zu finden", sagt Ritter. Denn der Kunststoff schrumpft und kann so Spalten bilden, in denen sich Bakterien vermehren. Auch die Haltbarkeit ist geringer als die der Füllungen mit Amalgam. In Zukunft soll es daher schrumpfarme und vor allem auch preisgünstige Füllungen geben, die dann auch in der Dritten Welt angewendet werden können.
Von wachsender Bedeutung ist Kunststoff in der Medizin mittlerweile auch als Gelenk- oder Gefäßimplantat, für künstliche Herzklappen und etwa für sich selbst auflösende chirurgische Nähfäden.
In vielen Haushalten sammeln sich irgendwo immer große Mengen an Plastiktüten. Man muss nur beim Einkauf den Rucksack oder Beutel vergessen, und schon gibt es wieder eine Tüte mehr in der Sammlung. Gegenüber Papierbeuteln haben die Plastiktüten, die meist aus Polyethylen bestehen, insbesondere den Vorteil, sehr reißfest und wasserundurchlässig zu sein. Allerdings sind sie auch sehr langlebig.
Einer statistischen Benutzungszeit von einer halben Stunde auf dem Weg vom Supermarkt nach Hause steht eine Lebensdauer von bis zu 400 Jahren in der Natur gegenüber. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass sich durch die Strömung ein rund drei Millionen Tonnen schwerer Müllstrudel im Ozean zwischen Kalifornien und Hawaii gebildet hat, der hauptsächlich aus Plastiktüten und anderem Kunststoff-Zivilisationsmüll besteht.
Eine UN-Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich statistisch bis zu 18 000 Plastikteile auf jedem Quadratkilometer Meeresoberfläche befinden. Um dieses Problem zu verringern, gibt es Kunststoffe, die biologisch abbaubar sind. Die meist aus Erdöl produzierten Materialien sind dabei so verändert, dass sie von Bakterien und Pilzen in kleinere Bestandteile zerlegt werden können.
Allerdings bauen sie sich zum Teil nicht vollständig ab und sind weniger stabil. Daneben gibt es Biokunststoffe, die aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Sie sind vollständig kompostierbar und werden etwa aus Maisstärke hergestellt. So gibt es bereits vollständig abbaubare Säcke für den Biomüll und Ähnliches.
Allerdings ist der Anteil dieser vollständig abbaubaren Kunststoffe mit 0,1 Prozent weltweit am Gesamtkunststoffverbrauch (rund 225 000 Tonnen von etwa 225 Millionen Tonnen jährlich) noch eher gering.
Erst vor relativ kurzer Zeit hat die Wissenschaft den Kunststoffen das Leuchten beigebracht. Damit sind nicht etwa Lampenschirme oder die allgegenwärtigen Leuchtreklamen aus Plexiglas, einem durchsichtigen Kunststoff, gemeint. Vielmehr kann die neueste Entwicklung, die Organisches Licht Emittierende Diode, kurz OLED, selbst leuchten und wird wahrscheinlich zunehmend Einzug in unsere Wohnungen halten.
Die herkömmlichen LED haben sich zwischenzeitlich etabliert. Die an kleine Lämpchen erinnernden, sehr hellen und energiesparenden Leuchtkörper sind mittlerweile nicht nur in Taschenlampen vertreten. Es gibt auch erste Straßenlaternen, die damit bestückt sind. Licht entsteht in den LED ganz anders als in Glühlampen - nämlich auf subatomarer Ebene, wenn Elektronen zum "Springen" in Ladungslöcher gebracht werden.
Der Verwendung sind durch die Form der kleinen Einzeldioden Grenzen gesetzt. Größere Leuchtkraft erfordert mehr Dioden und damit ein unruhiges Bild wie von tausenden kleinen Einzellämpchen. Das ändert sich dank neuer Kunststoffe. Die organischen LED besitzen als Bestandteil eine Kunststoffschicht, die in ganz unterschiedliche Formen gebracht werden kann.
Der Zusatz "Organisch" im Namen bezieht sich dabei auf diejenigen Kunststoffe, die aus langen Kohlenstoff-Molekülen auf Erdöl-Basis bestehen. (Die Kohlenstoffchemie wird auch als Organische Chemie bezeichnet, selbst wenn sie mit der Natur nicht unbedingt etwas zu tun hat.) OLED können etwa zu extrem flachen Bildschirmen, die auch rollbar sein können, verarbeitet werden.
Denkbar sind aber auch tapetendünne Lichtkacheln. An diesem Projekt arbeitet beispielsweise die Firma Osram. Noch gibt es einige Probleme zu lösen, so hören die derzeitigen Exemplare auf zu leuchten, wenn Wasserdampf eindringt. Derzeit gibt es aber bereits funktionierende OLED - etwa in Displays von Mobiltelefonen.
Die Möglichkeiten, mit moderner Nanotechnik immer feinere und kleinere Strukturen herstellen zu können, bietet auch neue Einsatzmöglichkeiten für die Kunststoffe. Ein Elektrospinnen genanntes Verfahren macht es so möglich, aus einer flüssigen Kunststoff-Lösung vliesartige feinste Gespinste mit nur Nanometer (ein Milliardstel Meter) dünnen Fasern zu erzeugen. Für diese gibt es je nach Art der Herstellung, des verwendeten Kunststoffes und weiterer Zusätze ganz unterschiedliche Anwendungen.
So kann man etwa Dünge- oder Pflanzenschutz-Mittel an die Kunststofffasern binden, die dann aus Biokunststoff bestehen. Über einen Acker verbreitet - sozusagen als Nano-Netz ausgelegt -, führt das dazu, dass die Wirkstoffe da wirken, wo sie sollen und nicht etwa vom Wind oder Regen verweht oder ausgewaschen werden.
Damit könnten in Zukunft weniger Dünger oder Pflanzenschutz-Mittel benötigt werden. Bereits jetzt gibt es aber Anwendungen für feinste Trinkwasserfilter, die kleinste Teilchen aus der Flüssigkeit zurückhalten können. Auf gleiche Art sollen in Zukunft Rohöl-Gemische energiesparend getrennt werden können.
Andere Anwendungen auf Nano-Basis sind etwa Werkstoffe mit Nanoröhren aus Kohlenstoff, die etwa Stahl stabilisieren und andere Kunststoffe elektrisch leitfähig machen können oder Lebensmittelfolien mit Nanopartikeln, die besonders dicht für Luft und Wasser sind.