Schwedischer Verein BioNyfiken Wenn Menschen sich einen Mikrochip unter die Haut spritzen lassen
Stockholm. In Schweden lassen sich Arbeitnehmer freiwillig einen Mikrochip in die Hand pflanzen, um in ihrem Unternehmen Türen zu öffnen und Kopierer oder das Rabattsystem der Kantine zu bedienen.
Beängstigende Science Fiction oder naive Technikbegeisterung, neue Blüte der „Upgrade yourself“-Mode oder einfach ein neuer Weg der (Daten-)Kommunikation?
Sie heißen Cyborgs und sind eine Mischung aus Mensch und Maschine. „Ich will herausfinden, ob ich ein Cyborg sein will. Und wenn ich es nicht sein will, kann ich den Chip ja wieder herausnehmen“, lächelt Hannes Sjoblad in einem Video, das sich auf der Internetsite des schwedischen Vereins „BioNyfiken“ (zu Deutsch: Bioneugierig) findet. Was schon länger bei Tieren funktioniert, was der Kanadier Amal Graafstra 2005 als einer der ersten durchexerzierte, als er sich einen Chip, in die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger spritzen ließ, erhält dank fortgeschrittener Technik (siehe Kasten) derzeit in Schweden neuen Schwung.
Der End-30er Sjoblad, Projektkoordinator von BioNyfiken, hält lediglich seine Hand in die Nähe eines geeigneten Lesegerätes und öffnet die Tür zum Büro oder entsperrt sein Handy, ohne Pincodes oder Passwörter einzugeben. Seine Botschaft: Die Implantate vereinfachen den Alltag, seien harmlos und „so normal wie Ohrringe“. Rund 300 Mitglieder haben schon einen Chip in der Hand. BioNyfiken-Ortsgruppen gibt es in Stockholm, Göteborg und Malmö. Das Interesse ist groß. Zuletzt hat der Verein mit seinem Piercing-Experten das Epicenter - Business-Zentrum für digitale Startups in der schwedischen Hauptstadt mit mehreren hundert Mitarbeitern - besucht und fleißig Chips implantiert. Noch 2015 will BioNyfiken im Rahmen einer großen Veranstaltung zeigen, was der Verein erreicht hat und zugleich zum Gedankenaustausch laden.
Die Aktionen beruhen auf absoluter Freiwilligkeit. Sjoblad betont: „Natürlich sollten Menschen niemals dazu gezwungen werden, das wäre abscheulich.“ Auf Gruppenevents, implant parties genannt, werden acht bis 15 „Einpflanzungen“ vorgenommen. Tätowierer spritzen die zwei mal zwölf Millimeter kleinen, aus biologisch verträglichem Glas hergestellten, Chips unter die zuvor desinfizierte Haut. Die „OP“ ist schmerzhaft, aber kurz, am Ende wird ein Pflaster über die Wunde geklebt. Übrigens bezahlt jeder selbst: zirka 74 Euro kostet ein Chip — bestellbar im Internet mit dem dazugehörigen Implantations-Paket. Eine Idee, die nicht nur bei Hackern ankommt, „sondern Menschen verschiedenen Alters, Hintergrund und Profession anspricht. Sie alle haben gemeinsam, dass sie ein Verständnis für Technology und nicht Angst davor haben“, so Sjoblad.
Was im technikfreundlichen Schweden, das bei der Verbreitung des Internets und der Mobiltelefonie Pionierarbeit geleistet hat, so einfach erscheint, dürfte es im eher kritischen Deutschland schwerer haben. Georg Sigl, Leiter am Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit (AISEC), erklärt: „Meiner Meinung nach braucht man das nicht unbedingt. Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden.“ Seine kritische Haltung wurzelt weniger in irgendwelchen technischen oder gesundheitlichen Risiken. Nein, die Technik sei ausgereift, und es sei „gefährlicher, das Handy ans Ohr zu halten“.
Ihn treiben Sicherheitsbedenken um, auch wenn die Daten nur in der Nähe — zehn bis 70 Zentimeter - unsicher sind, und viele Menschen ohne Chip gedankenlos mit ihren Daten umgehen. Aber jeder, der dem Chip in der Hand nahe genug kommt oder diese gar schüttelt, kann die enthaltenen Daten auslesen, ohne dass dies das Opfer merkt. Sigl erinnert sich: „Vor drei vier Jahren haben Hacker im Feldversuch am Hamburger Flughafen einem Wachmann, der einen Hausausweis als Chipkarte an einer Kette um den Hals trug, die Daten ausgelesen und diese genutzt, um Sicherheitstüren zu öffnen, mit denen sie aufs Rollfeld gelangt sind.“ Ein solcher Hacker-Angriff ist sicherlich auch in Schweden technisch möglich. Weshalb es gut ist, wenn keine sicherheitsrelevanten Daten gespeichert werden.
Das sieht auch der Philosophiedozent Michael Nagenborg so. Der an der Universität Twente lehrende Wissenschaftler hat sich schon 2008 auf einer Konferenz mit Überwachungsimplantaten beschäftigt. “In Schweden geht es darum, die heute ja bereits üblichen Chipkarten in den Körper zu verlagern.. Das hat den Vorteil, dass man die ‚Karte’ immer dabei hat.“ Und sie so nicht verlieren kann. Dennoch ist Nagenborg kein Freund der Technik, „weil sie einen Eingriff in die körperliche Integrität ohne medizinische Notwendigkeit darstellt.“
Schlimmer sind für ihn aber sogenannte „smarte Überwachungstechnologien“, die biometrische Daten nutzen, ohne dass der menschliche Körper angeschlossen wird.
Der rechtliche Rahmen wird durch die körperliche Unversehrtheit des Menschen bestimmt. „Der medizinische Eingriff ist nur gedeckt, wenn der Arbeitnehmer dem zustimmt“, sagt die Düsseldorfer Rechtsanwältin Leonora Elisabeth Holling. Wobei niemand ausschließen kann, dass „freundlicher Druck“ die ein oder andere Entscheidung beeinflussen kann.
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach warnt denn auch: „Solche Praktiken sind höchst problematisch, sie widersprechen dem Persönlichkeitsschutz. Schon jetzt können Verhaltensmuster durch Chips auf Personalausweisen, Kreditkarten oder die Handy- und Onlinedaten nahezu vollständig erfasst werden und die Menschen haben kaum Einfluss auf die Verwertung. Jetzt auch noch Chips unter der Haut zu tragen, würde diese Erfassung über jede zumutbare Grenze weit hinaustreiben.“ Ansonsten meint auch sie, dass Türen und Kopierer durchaus auch „ohne eingespritzte Chips bedient werden“ könnten.
Das sieht Sjoblad natürlich anders: Er will die Technik lieber selber nutzen und weiterentwickeln, bevor Mächtigere die Menschen zwingen, ihre Steuernummer, ihren Google- oder Facebook-Zugang auf einem Chip mit sich herum zu tragen. Und wer sich partout nicht mit dem Gedanken eines Fremdkörpers unter der Haut anfreunden könne, so der Schwede, könne auf Ringe, Armbänder oder Schlüsselanhänger mit Chip ausweichen.