Wo geht’s denn hier zum Kiez?

Vier Millionen Besucher bis jetzt – viele Berliner sind genervt.

Berlin. Die Touristen, ihr Dialekt verrät sie, haben sich verfahren. Sie sind im Kreuzberger Chamisso-Viertel unterwegs. "Wo kann man hier gut Currywurst essen?", wollen die Besucher wissen, eine Anwohnerin hilft.

Touristen vorm Balkon - ein typisches Erlebnis: In Berlin jagt ein Besucherrekord den nächsten. Die Hauptstädter beobachten, dass die touristische Ameisenstraße bis in die Kieze führt. Das ist ein neueres Phänomen.

Mehr als vier Millionen Touristen kamen im ersten Halbjahr 2010, Berlin ist nach London und Paris die Nummer drei in Europa. Abends in der U-Bahn? Italiener! Im Café? Amerikaner auf der Suche nach Schnitzel. In den Strandbars? Rucksacktouristen mit Bierdurst. Manchem Durchreisenden gefällt "Börlin" gar so gut, dass er hängenbleibt.

Auch wenn der Charme der 90er Jahre und die wilden Jahre nach dem Mauerfall vorbei sind: Die Spuren der Berliner Mauer, der volle Kulturkalender, die vielen alternativen Läden, Galerien und Clubs - das zieht noch immer. Es gibt über 100 Hostels. Und Streits, die schwelen.

Am Landwehrkanal sind Anwohner genervt, wenn junge Leute in lauen Nächten feiern bis der Mediator kommt. Ungern gesehen sind die Partyhorden, die den Abschied vom Junggesellen-Dasein begießen. Und dass die Besucher zuweilen den Radweg blockieren, stört manche Berliner, die sich andererseits freuen, dass ihre Stadt so angesagt ist.

"Wahnsinn!", sagt Gastronomin Senay Celik (40), die vor ihrem Café "Knofi" in der Kreuzberger Bergmannstraße sitzt. Neulich hat Celik gedacht, es sei eine Demo im Viertel. Dabei war es nur wegen der Touristen so voll. Trödelläden sind verschwunden, immer neue Cafés öffnen. "Die Bergmannstraße hat sich verändert." Anonymer sei es geworden, erzählt Celik. Sie weiß, dass die Mieten steigen können, wenn ein Laden im Stadtführer steht. Die Reisenden, die in ihrer Straße unterwegs sind, findet sie aber "sehr angenehm".

"Mich würde es nicht wundern, wenn es im Mauerpark bald einen Campingplatz gibt", sagt der russischstämmige Bestsellerautor Wladimir Kaminer (43). Wie sich die Stadt entwickelt hat, findet der Autor mit Wohnsitz am Prenzlauer Berg in Ordnung. "Bis jetzt haben sich die Berliner gut angepasst bei allem, was hier passiert ist."