Wolfgang Thierse wettert gegen Schwaben in Berlin: Jetzt schlägt das Ländle zurück
Bundestagsvizepräsident Thierse stört sich an zu vielen schwäbischen Immigranten in Berlin. Es geht auch um Brötchen — irgendwie.
Berlin. Es gab Zeiten, da war „Schwabe“ in Berlin ein Schimpfwort. Doch der Hass aufs Ländle schien längst vorbei, abgelöst vom Groll auf Kampfradler, Latte-Macchiato-Mütter oder feierwütige Touris. Bis Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse loslegte: Eine Schlammschlacht zwischen „Schwabylon“ und Spießertum aufgehängt an einem Brötchen. „In Berlin sagt man Schrippen — daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen“, hatte Thierse in einem Interview gelästert. Beim Bäcker in seinem Heimatbezirk Prenzlauer Berg heißt es inzwischen Weckle.
Dann schlägt das Ländle zurück: Ohne das Geld der Schwaben im Länderfinanzausgleich wäre Lebensqualität in Berlin nur schwer möglich, erinnert EU-Energiekommissar und Schwabe Günther Oettinger. Die Veränderungen seien noch lange kein Grund, „sich durchgeknallt zu den Schwaben zu äußern“, beschwert sich Baden-Württembergs SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel. Thierse verabschiedet sich bald aus dem Bundestag und verspricht, Urlaub in Süddeutschland zu machen.
Doch was hat Berlin gegen Schwaben? Sie gelten als spießig — und genau davor haben viele Hauptstädter wohl die größte Angst. Die Vorurteile: geizig, bieder, fleißig, penetrant — und „alles außer hochdeutsch“. Vor nicht langer Zeit zierte der Schriftzug „Schwaben töten“ manche Hauswand im Kiez. „Currywurst statt Spätzle“ war die Parole.
Doch Thierse hat es nicht speziell auf Schwaben abgesehen: Zugezogene sind zum Sündenbock geworden für steigende Mieten und den Wandel des Prenzlbergs vom alternativen Szeneviertel zur Heimat kinderwagenschiebender Bionade-Fans. Als Alteingesessenen könne man ihn dort bald unter Artenschutz stellen, sagte Thierse den „Stuttgarter Nachrichten“.
Unterstützung bekommen die Berliner von den Badenern. Oettingers Aussage „verrät doch die Gesinnung“, sagt der Vorsitzende der Landesvereinigung Baden in Europa, Robert Mürb. Schwaben empfänden ihre Lebensart als bestimmend und versuchten, sie überall durchzusetzen. Jürgen Keil, dem Ex-Vorsitzenden vom „Bund der Berliner“ in Stuttgart, ist das Lachen dagegen vergangen: „Was Thierse gesagt hat, ist diskriminierend. Er müsste zurücktreten.“
Die Hauptstadt will quirlig und vielseitig sein und bleibt dabei immer ein bisschen schmutzig. „So proper wie in Schwaben wird es in Berlin nie werden“, sagte Thierse „Spiegel online“. Berlins prominentester Schwabe, Starfriseur Udo Walz, hat sich in 45 Jahren daran gewöhnt. „Berlin hat mir gutgetan, aber ich liebe das schwäbische Essen“, sagt er. Schwaben-Hass bekomme er nicht zu spüren — wohl, weil er längst nicht mehr Weckle, sondern Schrippen bestellt.