Prozess in Stuttgart-Stammheim Wollte „Osmanen“-Gang einen Abtrünnigen ermorden?
Stuttgart (dpa) - Unter starken Sicherheitsvorkehrungen hat im Gerichtssaal am Gefängnis Stuttgart-Stammheim ein Prozess gegen die mutmaßlichen Anführer der türkisch-nationalistischen Straßengang „Osmanen Germania BC“ begonnen.
Verantworten müssen sich seit Montag acht Männer: fünf Türken und drei Deutsche im Alter von 19 bis 46 Jahren, darunter der selbst ernannte „Weltpräsident“ der rockerähnlichen Gang und sein Vize. Ihnen wird eine Vielzahl von Gewalt- und anderen Delikten vorgehalten, mit denen vor allem die innere Ordnung der „Osmanen“ aufrecht erhalten werden sollte. Laut Anklage wurde ein Abtrünniger fast getötet. Gut 50 Verhandlungstage sind angesetzt. Demnach würde der Prozess bis Januar 2019 gehen.
Um das Gefängnis in Stammheim sind Straßenkontrollen aufgebaut, Hunderte Polizisten sind im Einsatz, Hubschrauber kreisen über dem Justizgebäude. Strikte Kontrollen der gut 120 Zuschauer verzögern den Prozessstart um zwei Stunden. Grüppchenweise werden meist komplett schwarz gekleidete Anhänger der Angeklagten unter Polizeischutz durch den Ort geführt.
Es gebe eine Bedrohungslage, sagte Jan Holzner, Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart, ohne Details nennen zu dürfen. Im Saal wird auf die Verlesung der Adresse des „Osmanen“-Weltpräsidenten verzichtet, aus Sicherheitsgründen. Die acht Angeklagten sitzen in acht verschiedenen Gefängnissen in Untersuchungshaft.
Bis zu seiner Verhaftung im vergangenen Jahr lenkte der 46 Jahre alte „Weltpräsident“, ein Deutscher türkischer Abstammung, und sein 38 Jahre alter Vize die „Osmanen“ von Südhessen aus. In Deutschland sind den Behörden 33 Ortsgruppen (Chapter) mit rund 400 Mitgliedern bekannt.
Auseinandersetzungen gab es zuletzt vor allem mit türkischen Kurden der verfeindeten Straßengang „Bahoz“. Immer wieder kam es im Raum Stuttgart zu gewaltsamen Zusammenstößen um die Vorherrschaft in der Region. „Wir Osmanen beherrschen die Straße“, beschreibt Staatsanwalt Michael Wahl die Absicht hinter diversen Machtdemonstrationen.
Im Stuttgarter Prozess geht es aber in erster Linie um Strafaktionen gegen eigene Leute, etwa weil sie die „Osmanen“ verlassen wollten. Konkret geht es um einen Fall aus Herrenberg nahe Stuttgart. Dort soll ein Teil der Angeklagten - im Wissen der Anführer - ein abtrünniges Mitglied schwer traktiert haben. Auch weil dieser sich weigerte, gegen Kurden vorzugehen, wie es heißt. Ein „Osmanen“-Trupp habe dem Abtrünnigen Zähne ausgeschlagen, in den Oberschenkel geschossen, ihn bis zur Bewusstlosigkeit getreten und ihm dann die Patrone ohne Betäubung aus dem Bein geholt. Der Mann sei drei Tage gefesselt festgehalten worden, bis er fliehen konnte.
Die Liste der Straftaten, die den Männern vorgehalten wird, ist lang: versuchter Mord, versuchter Totschlag, gefährliche Körperverletzung, Zuhälterei, räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, diverse Waffen- und Drogendelikte. In wechselnden Besetzungen sollen sie diese Taten an verschiedenen Orten in Baden-Württemberg begangen haben. Man könne bei Verurteilungen von „mehrjährigen Haftstrafen“ für jeden Einzelnen ausgehen, heißt es bei der Staatsanwaltschaft.
Die „Osmanen Germania“ stehen nach Einschätzung des Innenministeriums in Nordrhein-Westfalen in Verbindung zur türkischen Regierungspartei AKP und zum Umfeld des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dieser Umstand spiele im Stuttgarter Prozess allerdings gar keine Rolle, sagte Holzner, der Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Der „Osmanen Germania Boxclub“ wurde erst vor wenigen Jahren gegründet. Als Hochburgen der gut 400 Mitglieder gelten die Regionen Frankfurt, Stuttgart und Wuppertal. „Es ist mit Sicherheit nicht der Boxclub, als der er offiziell gegründet wurde. Es ist mit Sicherheit auch keine Wohltätigkeitsorganisation, die Jugendliche von der Straße holt“, beschreibt Holzner die „Osmanen“. Sie seien als rockerähnliche Gruppierung einzustufen, mit einer strengen Hierarchie, in der man sich durch Straftaten nach oben arbeite.