Woody Allen: Schlammschlacht vor den Oscars
New York (dpa) - Star-Regisseur und vierfacher Oscar-Preisträger Woody Allen (78) und seine 28-jährige Adoptivtochter Dylan Farrow sind die Hauptakteure in der Schlammschacht um Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs.
Allens Ex-Partnerin Mia Farrow, der gemeinsame Sohn Ronan, seit Jahren vom Vater entfremdet, sind Nebendarsteller. Filmfans, Rechtsexperten und TV-Kommentatoren verfolgen das Drama mit.
Der gewöhnlich pressescheue Allen blies am Sonntag überraschend zum Angriff. „Unwahr und erbärmlich“ seien die Vorwürfe Dylans über angeblichen väterlichen Missbrauch, als sie sieben Jahre alt war. Er werde „sehr bald“ noch mehr dazu sagen, richtete seine Sprecherin aus. Tags zuvor hatte sich Dylan Farrow in einem offenen Brief in der „New York Times“ bis ins kleinste Detail über ihren „Schänder“ ausgelassen, von unsittlichen Annäherungen bis zum Missbrauch in einer „dunklen“ Kammer.
1992 war es ein Riesenskandal, als sich Mia Farrow und Allen nach zwölf Jahren trennten. Allen ging damals eine Beziehung zu Farrows erwachsener Adoptivtochter Soon-Yi ein. In einem Sorgerechtsprozess hielt der „Rosemary's Baby“-Star dem „Stadtneurotiker“ Missbrauch der gemeinsamen kleinen Adoptivtochter Dylan vor. Ermittler und Ärzte wurden eingeschaltet, Beschuldigungen lanciert. Über Monate tobte der Rosenkrieg, am Ende blieb eine Anklage aus. Aber Allen, der stets seine Unschuld beteuerte, verlor das Sorgerecht für seine drei gemeinsamen Kinder mit der Schauspielerin (ein leiblicher Sohn und zwei Adoptivkinder).
Nun kocht der Streit mitten in der Trophäen-Saison wieder hoch. Mitte Januar war Allen für sein Lebenswerk mit einem Golden Globe geehrt worden. In den nächsten Wochen entscheiden die Akademie-Mitglieder, ob er mit dem Drehbuch seines gefeierten Films „Blue Jasmine“ zum fünften Mal Oscar-Gold holt. Seine Darstellerinnen Cate Blanchett und Sally Hawkins sind ebenfalls nominiert.
Die Akademie zeichnet die künstlerischen Errungenschaften, nicht das „Privatleben“ der Filmschaffenden aus, so die taktvolle Antwort des Oscar-Verbands auf eine Anfrage der „New York Times“. Auch Blanchett blieb am Wochenende bei einem Filmfest in Kalifornien diplomatisch. Sie hoffe, dass die Familie in der „langen und schmerzhaften Angelegenheit“ Aufklärung und Frieden finden werde, sagte die Australierin.
Auch das Studio hinter „Blue Jasmine“, Sony Pictures Classic, reagierte auf die „sehr komplizierte Situation“. Es sei für alle Beteiligten eine „Tragödie“, hieß es in einer Mitteilung. Aber Allen sei nie angeklagt worden, damit müsse ihm Unschuld unterstellt werden. Allens Anwalt, Elkan Abramowitz, fand am Montag scharfe Worte für Mia Farrow. Es sei tragisch, dass die „von einer rachsüchtigen Liebhaberin“ manipulierte Geschichte nach 20 Jahren wieder auftauche, schrieb Abramowitz in einer Mitteilung an US-Medien.
Mia und Dylan Farrow hatten bereits im vorigen November in einem langen „Vanity Fair“-Feature die alten Vorwürfe gegen Allen wieder vorgebracht. In dem Interview sagte Mia Farrow auch, dass ihr leiblicher Sohn Ronan „möglicherweise“ nicht der Sohn von Star-Regisseur Allen, sondern von Musiklegende Frank Sinatra sei. Diese Enthüllung brachte den 26-jährigen Sprössling prompt in die Klatschpresse, gefolgt von einer Blitzkarriere mit Buch- und TV-Verträgen.
Ronan, von Allen seit Jahren entfremdet, griff den Regisseur nach der Golden-Globe-Gala auf Twitter scharf an. Ob in der Ehrung für sein Lebenswerk auch erwähnt worden sei, dass er eine Siebenjährige sexuell belästigt habe, monierte er bei dem Kurznachrichtendienst.
Mia und ihre Kinder würden die alten Vorwürfe nur ausgraben, um damit selbst werbewirksam ins Rampenlicht zu rücken, lästerte der renommierte US-Redakteur Michael Wolff am Montag in einer Kolumne im britischen „Guardian“. „Ein alter Skandal für eine neue Generation“. Die hitzige Debatte spaltet Hollywood. „Ich werde mir nie mehr einen Film von Woody Allen anschauen“, wetterte der Filmblogger Richard Stellar beim Kinoportal „TheWrap.com“. Hollywood müsse Allen meiden, statt ihn mit Ehrungen zu überhäufen.
Die Oscar-Show wurde schon häufiger von persönlichen Skandalen überschattet. Roman Polanski konnte sich 2003 den Regie-Oscar für das Holocaust-Drama „Der Pianist“ nicht persönlich abholen. Nach einer lange zurück liegenden Verurteilung wegen Sex mit einer Minderjährigen droht dem Regisseur bei der Einreise in die USA die Verhaftung.
Als der Meisterregisseur Elia Kazan 1999 fast 90-jährig auf der Oscar-Bühne stand und einen Ehrenpreis für sein Lebenswerk empfing, verweigerten ihm viele Prominente im Saal den Beifall und blieben aus Protest sitzen. Dem Schöpfer von Filmklassikern wie „Endstation Sehnsucht“ und „Jenseits von Eden“ hatten sie selbst nach Jahrzehnten seine Aussagen gegen einstige Gesinnungsgenossen vor dem McCarthy- Komitee für unamerikanische Umtriebe nicht verzeihen wollen.
Ein schlagzeilenträchtiger Auftritt von Woody Allen bei der Oscar-Gala am 2. März ist eher unwahrscheinlich. Um Preisverleihungen und Glamour-Events macht der New Yorker gewöhnlich einen großen Bogen.