„Wunderkind von Tripolis“

Als einziger überlebt Ruben (9) den Flugzeugabsturz in Libyen. Medien sprechen von einem Wunder. Der Junge weiß nicht, dass seine Familie tot ist.

Amsterdam. "Hurra, wir machen Ferien in Südafrika." Was der neunjährige Ruben - der einzige Überlebende des Flugzeugabsturzes bei Tripolis - und seine Familie vor der Katastrophe erlebten, konnten Freunde im Internet verfolgen. "Alles hat gut geklappt, auch das Umsteigen in Libyen, um 5 Uhr sind wir in Südafrika gelandet", schrieb die Familie aus Tilburg in den Niederlanden in ihrem Urlaubs-Blog.

Die Ferien waren offensichtlich herrlich. Voller Eindrücke traten Mama Trudy (41), Papa Patrick (41), der elfjährige Enzo und sein neunjähriger Bruder Ruben die Heimreise an. Auf der Hinreise war Ruben kurz vor der Landung schlecht geworden, er musste sich übergeben, berichtete die Familie. Aber das war schnell vergessen angesichts der tollen Erlebnisse im Land der Fußball-Weltmeisterschaft.

Zweieinhalb Wochen später, kurz vor dem Heimflug, machte sich die Familie Sorgen wegen der Vulkanasche aus Island. Doch dann die Blog-Mitteilung: "Die Flughäfen sind alle offen. Ein Glück, kein isländisches Sandkörnchen am Himmel." Einen Tag danach stürzte die Maschine der Afriqiyah Airways beim Landeanflug auf Tripolis ab. Ruben überlebte als Einziger.

"Zehn Engel müssen über seinem Kopf mitgeflogen sein", schreibt die niederländische Zeitung "De Telegraaf". Da weiß Ruben immer noch nicht, dass seine Eltern und sein Bruder tot sind. Er versteht den Trubel an seinem Krankenbett in Tripolis nicht. Kameraleute, Regierungsbeamte, Ärzte, Schwestern, Stewardessen schwirren um ihn herum.

Ein Arzt drückt ihm ein Handy in die Hand. "Da will dich ein Reporter aus Deiner Heimat sprechen." Ruben erzählt, dass er Schmerzen in seinen mehrfach gebrochenen Beinen hat, dass er nicht weiß, was passiert ist, warum er verletzt ist. Ja, alle seien nett zu ihm, aber eigentlich "will ich nur sehr gern nach Hause".

Endlich kommen seine Tante Ingrid und sein Onkel Jeroen an, ein Bruder seiner Mutter Trudy. Sie drücken den Jungen, es fließen Tränen, berichten Augenzeugen. Aber auch sie sagen Ruben nicht, was mit seiner Familie geschehen ist.

Er steht unter Schock; niemand weiß, welche Wirkung die Wahrheit auf seine Psyche haben würde. Nach heftiger Kritik in den Niederlanden über das Vorgehen der Reporter sorgt der niederländische Botschafter in Tripolis dafür, dass nur noch Mediziner und die Angehörigen in sein Zimmer dürfen.

Am Samstag soll der Junge nun in die Niederlande geflogen werden. Wann er wieder nach Tilburg zurückkehren wird, ist offen. Vor dem Haus seiner Familie liegen Blumen. Und ein Teddybär. Schulkameraden haben ihn mitgebracht.

Trauer herrscht in vielen der Gemeinden, in denen die 67 ums Leben gekommenen Niederländer wohnten. Fast 500 Angehörige von Opfern sind mit Ministerpräsident Jan Peter Balkenende zusammengetroffen, haben sich gegenseitig in ihrem Leid Trost und Zuspruch gegeben.

Doch am größten sind das Mitgefühl und das öffentliche Interesse für das "Wunderkind von Tripolis". Wird Ruben überhaupt in das Haus seiner Eltern zurückkehren? Viele wollen helfen. Von den Mitschülern über Nachbarn bis hin zu den Mitgliedern der Amateurband Caramba, in der seine Mutter mitspielte.

Für Ruben werden Psychiater bereitstehen, teilte Tilburgs Bürgermeister mit. Sie würden auch seine Lehrer und seine Mitschüler auf die schwierige Situation vorbereiten. Viele wollen dazu beitragen, dass der Neunjährige nach diesem ungeheuer traumatischen Erlebnis eines Tages wieder ein normales Leben führen kann. Sie wollen helfen, ein zweites Wunder wahr zu machen, das Wunder von Tilburg.