„Zettelwirtschaft“: Kurioses vom Laternenmast
Bergkamen/Hamburg/Berlin (dpa) - Bei manchen Zetteln ist die Botschaft klar: „Hier ist kein Hundeklo“ hat ein erboster Nachbar im nordrhein-westfälischen Bergkamen mit schwarzem Stift von Hand geschrieben.
Das „kein“ ist doppelt unterstrichen. Der wütende Hinweis gelangte in die Hände des Mainzer Aktionskünstlers „Brandstifter“ - und damit zu neuem Ruhm. Der 47-Jährige sammelt achtlos weggeworfene oder verloren gegangene Zettel und stellt sie zu einer „Asphaltbibliotheque“ zusammen.
Bis Mitte August sollen die Fundstücke aus Bergkamen zu einer Installation zusammengefügt und ausgestellt werden. Die Zettel von Gehsteigen oder Wegesrändern sagten viel aus über die Befindlichkeiten einer Stadt, erklärt „Brandstifter“. „Ich lese die Stadt auf, hebe sie auf.“ Mit seiner Kunst sei er sehr nah dran an den Menschen. Über verlorene Einkaufslisten sieht er etwa, was gerne gekocht wird. Notizen in fremder Sprache verraten, welche Nationalitäten in einem Viertel zuhause sind.
Aber was steckt hinter den Botschaften, etwa dem Hinweis „Nicht deine Handyhülle auf und zu machen! L.G. Toni“? Darüber soll sich der Betrachter seine eigenen Gedanken machen, sagt „Brandstifter“. Dass sich das Rätsel lösen lässt, ist eher selten. Eher zufällig geschah das beim Erinnerungszettel „LSV-Nikoläuse abholen“, den der Künstler in Mainz gefunden und ausgestellt hatte. Eine Schülerin outete sich als Verfasserin. Daher weiß der 47-Jährige inzwischen, das LSV für Landesschülervertretung steht.
Ganz speziell um die Geschichte eines Zettels geht es dagegen Bloggerin Frauke Lüpke-Narberhaus. Die Redakteurin bestückt mit ihren gefundenen Schätzen auch die Rubrik Zettelgold bei „Spiegel online“. Vorher hat sie recherchiert, ob es mit der Wohnungssuche geklappt oder ob sich die große Liebe gemeldet hat. Die Hintergründe seien „nicht nur lustig, sondern auch mal verzweifelt, traurig oder rührend“. Als Beispiel nennt sie einen Zettel an einer Videothek. „Wir haben es lange versucht, aber das Internet hat gewonnen“, steht da unter anderem drauf. „Hintergrund ist, dass die Videothek nach fast 30 Jahren schließen muss, weil die Konkurrenz aus dem Netz zu groß geworden ist“, erklärt Lüpke-Narberhaus.
Sie erinnert sich noch gut an die Geschichte von Lisa, die in Hamburg per Zettel fragte: „Mit wem muss man eigentlich hier schlafen, um eine Wohnung zu bekommen?“ Die 22-Jährige habe ihre Suche inzwischen aufgegeben und sei weggezogen. Schön sei auch der Zettel von Ricarda, die unter dem Titel „Vater gesucht!“ nach einem Rüden fahndet, mit dem sich ihre Hündin Zola heimlich vergnügt hat. „Die 28-Jährige fand den schwarzen Labrador. Die neun Welpen zog sie dann gemeinsam mit Zola auf und unterbrach dafür ihr Studium.“
Der Aktionskünstler „Brandstifter“ sammelt seit 1998 Zettel, er hat sich unter anderem schon in New York, Berlin und zuletzt in Indien auf die Suche gemacht. In seinem Archiv lagern Tausende Notizen und Fotos. Zu seinen Lieblingsstücken zählt einer mit dem Wunsch „Lieber Gott, ich will ein Kind von Dir“ oder die anonyme Botschaft „Du Trottel, besetzt gleich zwei Parkplätze. Du musst eine Frau sein“. Der Zettel steckte am Wagen eines männlichen Freundes des Künstlers.
„Berlin ist das Mekka der Zettelwirtschaft“, sagt Joab Nist, der in seinem Blog „Notes of Berlin“ Kurioses vom Straßenrand präsentiert. Unter Rubriken wie „Liebe“, „Diebe“ oder „Hausflur“ spürt Nist der Alltagskultur in der Hauptstadt nach. Darunter Ermahnungen an Zeitungsdiebe („Erspare Dir doch die tägliche Selbstdemütigung“), vermisste Hunde („Wir können nicht ohne ihn leben“) oder die Suche nach dem unbekannten Charmeur („Ich habe gar keinen Freund“).
Die Notizen haben inzwischen so viele Fans, dass Nist mit Werbebannern in seinem Blog Geld verdient. Bis zum kommenden Jahr soll der Film „Notes of Berlin“ fertig sein, in dem es um echte Zettel und deren fiktive Geschichten geht.