Detmolder Prozess Zeugen im Auschwitz-Prozess schildern Grausamkeiten der Wachmänner

Sie haben Unvorstellbares zu berichten: Überlebende des KZ Auschwitz sagen im Detmolder Prozess gegen einen früheren Wachmann aus. Ihre Zuhörer sollten diese Erinnerungen nutzen, mahnt einer von ihnen.

Die Auschwitz-Überlebende Angela Orosz Richt-Bein zeigt ein Foto mit der Hochzeitsgesellschaft ihrer Eltern.

Foto: Friso Gentsch

Detmold Im Detmolder Auschwitz-Prozess gegen einen ehemaligen SS-Wachmann hat ein Überlebender von den Grausamkeiten der SS berichtet. Der heute 87 Jahre alte Ben Lesser aus Las Vegas richtete auch einen Appell an alle Zuhörer im Gericht: „Sie gehören zu den letzten Menschen, die Aussagen noch von Überlebenden direkt hören können“, sagte er. Sie sollten es nutzen, damit es keinen weiteren Holocaust gibt.

Lesser schilderte schreckliche Erlebnisse in einer Baracke des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Nachts habe er Feuerschein beobachtet und Kinderschreie gehört. Der Stubenälteste habe ihm erklärt, dass Leichen aus den Gaskammern in Feuergruben verbrannt und darauf Kinder geworfen würden. „Das ist das Schreien der Kinder“, sagte der Stubenälteste.

Grausamkeiten der SS-Wachmänner erlebte Lesser beim Morgenappell. „Die Wachen haben sich einen Spaß daraus gemacht, uns leiden zu sehen.“ Beim Appell hätten sie verlangt, mit den Händen auf die Beine zu schlagen. Wer aus dem Takt gerate, werde erschossen, hätten sie gedroht.

Vor dem Gericht muss sich ein früherer Wachmann verantworten. Der 94 Jahre alte Reinhold Hanning ist wegen Beihilfe zum Mord in 170 000 Fällen angeklagt. In dem Prozess soll die gesamte Tötungsmaschinerie erklärt werden. Nur durch den Einsatz der Wachmänner habe sie funktionieren können, heißt es in der Anklage.

Als weitere Zeugin sagte am Freitag Angela Orosz Richt-Bein aus. Die 72-Jährige war unter den widrigsten Umständen in Auschwitz zur Welt gekommen. Sie ist eines von nur zwei dort geborenen Kindern, die das Vernichtungslager überlebten. Sie sei trotz der Sterilisierungsexperimente, die Lagerarzt Josef Mengele an ihrer Mutter vorgenommen habe, zur Welt gekommen. Diese Experimente seien aber der Grund dafür, dass sie keine Geschwister mehr bekommen habe, sagte die Zeugin. Die SS bekam von der Geburt nichts mit: Weil sie nur ein Kilo gewogen habe und nicht schreien konnte, sei sie nicht bemerkt worden. Fünf Wochen später sei Auschwitz befreit worden. Ein Arzt habe ihr später in Ungarn kaum Überlebenschancen eingeräumt. „Nach einem Jahr habe ich drei Kilo gewogen, soviel wie andere Kinder bei der Geburt.“ Der Arzt habe ihr geholfen. Nach Jahren habe sie gehen können.(dpa)