Adoptions-Mafia in Spanien: Zehntausende Kinder geraubt?
Die Baby-Entführungen sollen während der Franco-Diktatur begonnen haben.
Madrid. Weinend kommen sie aus dem Gericht: Marisa Torres und ihre Tochter Pilar, die gerade einem Richter erzählten, wie sie sich nach drei Jahrzehnten Zwangstrennung wiederfanden. Die Mutter berichtet, dass ihr 1982 in einer Klinik in Madrid ihr Baby weggenommen worden sei. Offenbar von einer katholischen Ordensschwester, die nun der Entführung beschuldigt wird.
Der Fall gilt als Spitze eines Eisberges: Seit der Zeit der Franco-Diktatur sollen tausende Babys in Spanien von einer Adoptions-Mafia entführt und verkauft worden sein.
Vor dem Gerichtsgebäude in Madrid warten Dutzende von Frauen und recken Schilder in die Höhe, auf denen steht: „Wir sind alle Marisa.“ Sie suchen ihre Kinder, die ihnen vor Jahrzehnten in Krankenhäusern „geraubt“ wurden. Marisa Torres ist eine der wenigen, die ihre Tochter nach der Suche über einen TV-Sender wiederentdeckte.
Der bewegende Fall ist der erste, in dem ein Richter ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Allein in Madrid liegen rund 50 Anzeigen wegen ähnlicher Zwangsadoptionen vor. Die Opfer, die sich inzwischen organisiert haben, sprechen von bis zu 300 000 solcher „Kindesentführungen“ im ganzen Land. Sie spielten sich, den Aussagen zufolge, bis in die 1990er Jahre stets nach dem gleichen Muster ab: Den Müttern wurde nach der Niederkunft erklärt, ihre Babys seien tot auf die Welt gekommen. Oder psychisch labile Frauen wurden unter Druck gesetzt, um ihre Kinder „freiwillig“ abzugeben.
Dahinter steckte offenbar ein Netzwerk aus Ärzten, Nonnen, Priestern und Krankenhäusern, welche die Kinder an Nachwuchs suchende Paare gegen „Spenden“ vermittelten. Die Ermittlungen sind schwierig: Urkunden wurden gefälscht, viele zwangsadoptierte Kinder kennen ihre Herkunft nicht.
Der Kindesraub in Spanien begann offenbar schon während der Franco-Diktatur (1939-1975), in welcher Oppositionelle verfolgt wurden. Es handelte sich damals zum Teil „um Kinder von Gefangenen“, beklagte schon vor Jahren Spaniens berühmter Untersuchungsrichter Baltasar Garzon: Kinder von regimefeindlichen Müttern, die im Gefängnis saßen. Betroffen waren auch Babys junger Frauen, die als „linke Verräterinnen“ erschossen wurden.
Untersuchungsrichter Garzon erwähnte in seinem Bericht allein 30 000 solcher Fälle während der Franco-Zeit. Doch die Verbrechen sind bis heute nicht aufgeklärt worden. Und Garzon wurde inzwischen von der Justiz mit einem Berufsverbot kaltgestellt. Ein schlechtes Omen für die Wahrheit in diesem Skandal.