Ägypter üben sich in ihren neuen Freiheiten
Der Weg zur Demokratie ist geebnet: Das Referendum wird zum Probelauf.
Kairo. Ganze Hausgemeinschaften und Freundeskreise standen am Samstag vor den Wahllokalen in Ägypten an. Fast niemand drängelte, auf den Gesichtern spiegelten sich Freude und Genugtuung.
„Zum ersten Mal weiß ich, dass meine Stimme gezählt wird und Gewicht hat“, sagte die 24-jährige Marketing-Assistentin Aya Assaf in der vornehmen Kairoer Vorstadt Heliopolis auf dem Weg zur Wahlurne. Rund 45 Millionen Bürger sollten über elf Verfassungsänderungen entscheiden, die den Weg zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen freimachen sollen.
Auch im vergleichsweise bescheidenen Mittelklasse-Viertel Sajjida Zeinab im Zentrum Kairos stand der Tag im Zeichen der neu gewonnenen demokratischen Freiheit. „Solche Wahlen gab es bei uns noch nie“, freute sich der Universitätsassistent Amr Abul-Sud. „Die Menschen waren nahezu enthusiastisch. Nicht die geringste Spannung war zu spüren.“ Befürworter und Gegner der Verfassungsänderungen hielten sich in Sajjida Zeinab gleichermaßen an die Vorgabe, vor der Stimmabgabe keinen Druck auf die Bürger auszuüben.
Nur vereinzelt kam es zu Zwischenfällen. Im Kairoer Vorort Giza verteilten Aktivisten der islamischen Muslimbruderschaft vor den Wahllokalen Flugblätter, um für ein Ja-Votum zu werben. Im Armenviertel Mokattam hielt ein aggressiver Mob den liberalen Politiker Mohammed el Baradai davon ab, seine Stimme abzugeben. Steine flogen in seine Richtung, die Rowdys riefen „Wir wollen ihn nicht“.
Vor knapp zwei Wochen waren hier 13 Menschen gestorben, als von Schlägerbanden aufgehetzte Muslime die dort lebenden christlichen Kopten angegriffen hatten. El Baradei, früher Generaldirektor der Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA), will bei der nächsten Wahl für das Amt des Präsidenten kandidieren.
Einer alten Unsitten wurde Einhalt geboten: Der Gouverneur von Kairo, Abdul-Assam Wasir, wollte — wie er es gewohnt war — an der langen Schlange vorbei mit seinem Gefolge direkt in sein Wahllokal vorpreschen. Damit war er jedoch schlecht beraten. Die anderen Wähler „schmissen ihn raus“, wie die Internetseite „almasryalyoum“ berichtete.