„Cameron ist doch eine Witzfigur“
Wird Schottland ein eigener Staat? Vor Ort setzen sich viele Deutsche dafür ein
Edinburgh. Der Vorgarten ist perfekt hergerichtet. Am Gartenzaun hängt ein riesiges Yes-Banner, in den Blumenkästen stecken schottische Fähnchen. Darüber, am Fenster, hängt noch einmal ein blau-weißes Poster. Die Hingabe, mit der viele Schotten in diesen Tagen für einen eigenständigen Staat trommeln, ist beachtlich. Doch stammt das beschriebene Haus nicht von einem Einheimischen. Es gehört einem Deutschen, der damit auf Facebook posiert.
Während viele Schotten noch unentschlossen sind, ob sie am 18. September für oder gegen die Unabhängigkeit stimmen, tobt im Internet schon seit Monaten ein Kampf um die Deutungshoheit. Mit dabei sind auch mehrere deutsche Facebook-Gruppen, die sich „Germans for Scottish Independence“, „Germans for Yes“ oder „Deutsche für ein freies Schottland“ nennen. Es handelt sich dabei um mehr als nur Symbolpolitik, denn neben den Einheimischen dürfen unter anderem auch EU-Bürger am Wahltag mitentscheiden.
Einer von ihnen ist Thomas Westen. Der 50-jährige Unternehmer kommt ursprünglich aus dem Ruhrgebiet, lebt aber seit fünf Jahren in Kirkcaldy, einer Hafenstadt rund 50 Kilometer nördlich von Edinburgh. Sein Engagement für einen unabhängigen schottischen Staat erklärt er mit der „Anti-EU-Politik“ Londons. „Unter dem Druck der rechten Ukip-Partei wird die britische Regierung immer rechter“, sagt Westen. „Cameron ist doch inzwischen die Witzfigur Europas.“
Auf lange Sicht befürchtet Westen eine Koalition zwischen den Konservativen und der radikalen Ukip-Partei in London —gefolgt von einem britischen Austritt aus der EU, über den 2017 ebenfalls das Volk abstimmt. „Dann würden wir unsere Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung verlieren. Es wäre wie in der Schweiz, nur extremer.“ Ganz anders in einem eigenständigen Schottland: Dort, glaubt Westen, könnten er und andere Europäer von der pro-europäischen Einstellung der regierenden Scottish National Party (SNP) profitieren. Die hat bereits angekündigt, auch zukünftig in der EU bleiben zu wollen — eine Aussage, die die No-Fraktion in Zweifel zieht. Schließlich sei noch immer unklar, welchen Einfluss eine Abspaltung auf den schottischen EU-Status hätte.
Um für seinen Standpunkt zu werben, hat Westen die Facebook-Gruppe „Germans for Yes“ gegründet. „Außerdem engagieren wir uns in den Yes-Shops vor Ort“, sagt Westens Ehefrau Elke. „Wir backen Kuchen, verteilen Flyer, hängen Fahnen auf und gehen auf die Leute zu.“ Yes-Shops sind die lokalen Informationsbüros der Ja-Fraktion. „Wir halten uns da jede freie Minute auf“, sagt die 47-Jährige. „Für uns ist das zurzeit unser zweites Zuhause.“
Auch finanziell greifen die Deutschen ihren schottischen Freunden unter die Arme: „Wir zahlen die Miete eines Yes-Shops und haben auch ein paar Banner gekauft“, sagt Elke Westen. Wie viel das Ehepaar für ein unabhängiges Schottland investiert hat, wollen sie aber nicht sagen. „Über diese Dinge sprechen wir ungern. Wir wollen nicht, dass jemand neidisch wird.“
Natürlich sind auch nicht alle Einheimischen davon begeistert, dass sich Zuwanderer in innenpolitische Angelegenheiten einmischen. „Hin und wieder regen sich die Leute auf“, sagt Thomas Westen. „Kürzlich sprach mich ein Mann an und meinte, nur Briten sollten ein Wahlrecht haben.“ Zu einem gewissen Grad könne er das sogar verstehen. Aber: „Wir sind nun mal Europäer und sollten daher auch die gleichen Rechte haben. Immerhin bereichern wir das Leben hier und schaffen Arbeitsplätze.“ Generell wolle er als Deutscher aber auch ein Zeichen setzen, sagt Westen. „In den deutschen Medien wird ein falsches Bild von der politischen Lage gezeichnet. Dort sprechen alle von Nationalisten, was ein sehr suggestiver Begriff ist. Da denkt doch jeder sofort an rechte Parteien.“ Die SNP kämpfe zwar für eine Abspaltung, sei aber eine zutiefst sozialdemokratische Partei. „Sie steht in der Tradition von Willy Brandt. Daher wäre es absurd, sie als rechts zu bezeichnen.“
Auf der anderen Seite gibt es auch Deutsche, die sich für ein „No“ bei der Abstimmung aussprechen. Die Germanistin Bettina Bildhauer, Dozentin an der Universität St. Andrews, machte das Ende Juni bei der Abschlussfeier ihrer Studenten deutlich. „Als Deutsche beunruhigt mich der zunehmende Hang zum Nationalismus — ob in England, Schottland, Frankreich oder Deutschland“, sagte Bildhauer, gefolgt von der Warnung: „Die Lehre, die wir aus der deutschen Geschichte ziehen können, ist, dass Nationalismus immer zu Fremdenfeindlichkeit führt.“
Was darauf folgte, bezeichnet Bildhauer heute als „Hetzkampagne“. In sozialen Medien ergoss sich ein Shitstorm; aufgebrachte Yes-Anhänger forderten die Absetzung der Wissenschaftlerin. Das Internetportal Bella Caledonia veröffentlichte die E-Mail-Adresse des Uni-Rektors — mit der Bitte, Beschwerden direkt an die Chefetage zu richten. „Neues habe ich dazu nicht zu sagen“, sagt Bildhauer auf Rückfrage dieser Zeitung. „Sie können sich vorstellen, dass ich erst mal genug von den Nationalisten und der Presse habe.“