Deutschland nimmt 150 Schwerverletzte aus Libyen auf
Tripolis (dpa) - Deutschland wird in seinen Krankenhäusern 150 schwer verletzte Kämpfer des libyschen Übergangsrates gesund pflegen. „Wir wissen, dass sie Helden des libyschen Volkes sind“, sagte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) am Donnerstag in Tripolis.
400 Kilometer östlich der Hauptstadt, in Sirte, feierten die Truppen des Übergangsrates den Sieg über die letzten bewaffneten Gaddafi-Anhänger. Ein Bericht von Amnesty International enthüllte am selben Tag, dass auch die neuen Behörden gefangen genommene Gaddafi-Soldaten und -Anhänger systematisch schlagen und foltern.
Die ersten schwer verletzten libyschen Kämpfer sollten bereits am kommenden Dienstag mit Bundeswehrmaschinen in deutsche Krankenhäuser gebracht werden, sagte Rösler in Tripolis. Insgesamt müssen noch etwa 2000 weitere verletzte Milizionäre des Übergangsrates behandelt und versorgt werden. Grundsätzlich hätten ihm die libyschen Gesprächspartner signalisiert, dass auch deutsches Know-how in der Verwaltung und Wirtschaft sehr willkommen sei, sagte Rösler.
Auch die deutsche Wirtschaft versucht in dem erdölreichen Land, in dem sie vor dem Sturz von Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi aktiv war, wieder Fuß zu fassen. Beobachter werten die humanitären Gesten der Bundesregierung gegenüber verletzten Kämpfern auch als eine Art Wiedergutmachung. Der Übergangsrat hatte im Frühjahr mit einigem Erstaunen reagiert, als sich Deutschland im Weltsicherheitsrat bei der Abstimmung über die Nato-Einsätze gegen das Gaddafi-Militär der Stimme enthalten hatte.
Die vormaligen Rebellen bauten am Donnerstag ihre Kontrolle über die Hafenstadt Sirte weiter aus. Gaddafi-Kämpfer leisteten nur noch an wenigen Stellen Widerstand. Der Fernsehsender BBC zeigte Bilder, auf denen zu sehen war, wie Milizionäre im Zentrum von Sirte die grüne Fahne des Gaddafi-Staates von den Masten rissen und die rot-schwarz-grüne libysche Flagge aus der Zeit vor Gaddafi hissten.
Auf den Straßen wurde auch die angebliche Festnahme von Gaddafis Sohn Mutassim gefeiert, der zuletzt nationaler Sicherheitsberater und Kommandeur der Prätorianergarde seines Vaters gewesen war. Erste Berichte über seine Gefangennahme wurden jedoch im Laufe des Donnerstag vom Übergangsrat dementiert. Gaddafi selbst ist nach seiner Vertreibung aus Tripolis vor sechs Wochen untergetaucht. Seine Geburtsstadt Sirte ist außer Bani Walid die einzige Stadt, in der seine Anhänger noch kämpfen.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International enthüllte derweil in einem neuen Bericht aus Libyen, dass die neuen Behörden gefangen genommene Gaddafi-Soldaten, Gaddafi-Loyalisten und angebliche Söldner - meist Gastarbeiter aus Schwarzafrika - systematisch misshandeln. Willkürliche Festnahmen, Schläge und Folter seien weit verbreitet, heißt es in dem Bericht, der am Donnerstag in London vorgestellt wurde.
Es sei ein großes Risiko zu erkennen, dass „Verhaltensmuster der Vergangenheit wiederholt“ würden. „Willkürliche Festnahmen und Folter waren ein Kennzeichen der Herrschaft von Oberst Gaddafi“, sagte Hassiba Hadsch Sahraoui, der stellvertretende Amnesty-Chef für den Nahen Osten und Nordafrika.
Indes verbuchte das Land einen weiteren kleinen Fortschritt bei der wirtschaftlichen Normalisierung. Nach acht Monate langer Unterbrechung durch den Bürgerkrieg war die Erdgasleitung von Libyen nach Italien erstmals wieder offen. Der italienische Energiekonzern Eni und das staatliche libysche Ölunternehmen (Noc) teilten am Donnerstag gemeinsam in Mailand mit, dass sie mit ersten Transporttests begonnen hätten. Es würden täglich drei Millionen Kubikmeter Gas in die Greenstream genannte Leitung gepumpt. Sie stammten aus dem Feld Wafa etwa 500 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Tripolis.