Doppeltes „Prism“-Programm wirft neue Fragen auf

Berlin (dpa) - Verwirrung in der Spähaffäre: Das in Afghanistan eingesetzte „Prism“-Programm hat möglicherweise doch direkte Verbindungen zum gleichnamigen Überwachungsinstrument der NSA.

Nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung (Donnerstag) greifen beide Programme auf dieselben Datenbanken des US-Geheimdienstes zu. Bundesregierung und Bundesnachrichtendienst (BND) hatten am Mittwoch jede Verbindung zwischen den Programmen zurückgewiesen und betont, sie trügen nur zufällig den gleichen Namen. Das Verteidigungsministerium und der BND äußerten sich dazu am Donnerstag trotz Nachfragen nicht. Für Aufsehen sorgte der angebliche Bau eines neuen NSA-Abhörzentrums in Wiesbaden.

Die National Security Agency (NSA) überwacht anscheinend im großen Stil die Kommunikation von Bürgern und Politikern auch in Deutschland - vor allem durch das Programm „Prism“. Auch sechs Wochen nach den ersten Enthüllungen über das Spähprogramm sind Einzelheiten und Umfang der Datenüberwachung noch immer unklar. Vielmehr kommen täglich neue Fragen auf: Die „Bild“-Zeitung hatte berichtet, „Prism“ komme auch in Afghanistan zum Einsatz - zur Überwachung Terrorverdächtiger und zum Austausch von Daten über die Sicherheitslage. Das Bundeswehr-Kommando in Afghanistan sei im September 2011 über die Existenz von „Prism“ informiert worden.

Bundesregierung und BND hatten am Mittwoch versichert, die beiden Programme namens „Prism“ seien „nicht identisch“. Das Verteidigungsministerium betonte auch, nichts von der Nutzung des „Prism“-Programms am Hindukusch gewusst zu haben. Regierung und Geheimdienste beteuern seit den ersten Enthüllungen über die Ausspähung durch die USA, sie hätten davon nie zuvor gehört.

Die „Bild“-Zeitung legte jedoch nach und berichtete, die beiden Programme mit dem Namen „Prism“ hätten sehr wohl miteinander zu tun. Beide griffen auf dieselben Datenbanken der NSA zu, meldete das Blatt unter Berufung auf Quellen in den USA, die mit „Prism“ vertraut seien. „Prism“ ist demnach kein einzelnes Programm, sondern eine Zusammenschaltung verschiedener Softwares, die weltweit Daten abgreifen und in verschiedenen Datenbanken speichern. Das in Afghanistan eingesetzte „Prism“ bediene sich aus mehreren dieser NSA-Datenbanken, in denen auch Daten Deutscher gespeichert würden.

Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom sagte dem Bonner „General-Anzeiger“ (Freitag): „Bei einem Nachrichtendienst ist es nahezu ausgeschlossen, dass es denselben Decknamen für unterschiedliche Programme gibt. Ich verstehe auch diese Rückzugslinie der Bundesregierung überhaupt nicht.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dringt in puncto Datensicherheit derweil auf internationale Standards. „Wir müssen uns international hinsetzen und Regeln finden, genauso wie wir Regeln für die Finanzmärkte brauchen“, sagte sie am Donnerstag bei einer Wahlkundgebung in Aschaffenburg. Als Kanzlerin sei sie für die Sicherheit der Bürger vor Anschlägen, Terror und organisierte Kriminalität verantwortlich, aber auch für die Sicherheit ihrer Daten: „Das muss in eine vernünftige Balance gebracht werden.“

Aus der Opposition kam scharfe Kritik. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) auf, die Sache zu erklären. Der Ressortchef habe „sein Haus in erschreckendem Ausmaß nicht im Griff“. Die Linke warf der Regierung vor, Öffentlichkeit und Parlament „für dumm verkauft“ zu haben.

Die meisten Deutschen halten die Bundesregierung für machtlos, an den Überwachungsmaßnahmen der US-Dienste etwas zu ändern. Laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage für den Sender N24 vermuten 53 Prozent der Befragten, dass die Regierung in Berlin keine Möglichkeit hat, etwas gegen die Spähprogramme zu unternehmen. Nur 32 Prozent sind anderer Meinung.

Die „Mitteldeutsche Zeitung“ berichtete unter Berufung auf Mitglieder des Bundestags-Innenausschusses, der Präsident des Geheimdienstes, Gerhard Schindler, habe bestätigt, dass der US-Geheimdienst in Wiesbaden ein neues Abhörzentrum errichten werde.

Der BND dementierte, dass Schindler den Innenausschuss entsprechend informiert habe. „Nach lange pressebekannten Aussagen, auch der US-Streitkräfte in Deutschland (...) handelt es sich bei den Neubauten in Wiesbaden um ein lange bekanntes Projekt der US-Army, zu dem der BND weiter keine Stellung nimmt“, hieß es in einer Erklärung.

Nach Angaben der US-Streitkräfte entsteht am Standort Wiesbaden- Erbenheim ein 124 Millionen Euro teures Zentrum für militärische Aufklärung. Dort sollen Geheiminformationen für den Einsatz der US-Streitkräfte in Europa gesammelt werden. Das Zentrum soll bis Ende 2015 fertig sein.