Ende einer diplomatischen Krise: „Willkommen in Amerika, Mr. Chen“
China erlaubt dem blinden Bürgerrechtler überraschend, in die USA zu fliegen. Sorge um die Verwandten in der Heimat.
New York/Peking. Chen Guangcheng ist glücklich, erschöpft und besorgt zugleich. Auf Krücken, den Fuß in Gips und gestützt von seiner Frau Yuan Weijing macht der blinde Bürgerrechtler in New York die ersten Schritte in der Freiheit. Nach „viel Wirbel“ habe er China verlassen können, sagt der 40-Jährige. Er dankt nicht nur der US-Regierung, sondern findet selbst freundliche Worte für Chinas Führer, „die zurückhaltend mit der Situation umgegangen sind. Ich hoffe, dass sie ihren offenen Diskurs fortsetzen“.
Aus den sorgfältig gewählten Worten klingt die Sorge heraus, dass lokale Funktionäre jetzt „schlimme Rache“ an den zurückbleibenden Verwandten in seinem Heimatdorf nehmen könnten, wie Chen Guangcheng vor seiner überstürzten Abreise gesagt hatte.
Es sind gemischte Gefühle, mit denen er die Heimat verlässt. Von einem Happy End lässt sich kaum reden, doch endet mit seiner Ankunft die seit langem schwerste diplomatische Krise zwischen China und den USA. Sein Fall wurde gelöst, ohne dass die Beziehungen zwischen beiden Staaten Schaden genommen hätten.
In dem wochenlangen Tauziehen war US-Präsident Barack Obama wegen des Umgangs mit dem Bürgerrechtler in die Defensive geraten, weil ihm vorgeworfen wurde, sich allzu leichtgläubig auf vage Zusagen Chinas eingelassen zu haben. Am Ende kann Washington aber Lob für seine Diplomatie ernten — und China demonstriert, seine Versprechen auch einzuhalten.
Ein gelungenes Beispiel für Konfliktlösung, findet Professor Cheng Xiaohe von der Volksuniversität. „Die USA und China sind wegen des Falles von Chen Guangcheng nicht vom Kurs abgekommen“, sagt der Experte. Die USA hätten den Ball flach gespielt und eng mit Peking kooperiert. Das Vorgehen sei wegweisend und könne sich in Zukunft wiederholen. „Früher haben beide Länder kleine Dinge aufgeblasen, heute gibt es den Trend, große Dinge eher klein zu fahren.“
Mit seiner Ausreise entkommt Chen Guangcheng weiterer Verfolgung in China. Doch wartet auf ihn ein ungewisses Schicksal. Die nationalistische englischsprachige Zeitung „Global Times“ sagte fast hämisch voraus, Chen Guangcheng werde in den USA wie andere exilierte Dissidenten vor ihm in der Bedeutungslosigkeit versinken. Doch Wang Dan, der frühere Studentenführer der 1989 blutig niedergeschlagenen Demokratiebewegung, sieht das anders. Er ruft ihm ein herzliches „Willkommen in Amerika, Mr. Chen“ entgegen.
Der Aktivist müsse sich nicht sorgen, keine Rolle mehr in der Bürgerrechtsbewegung in China spielen zu können, schrieb Wang Dan in der „New York Times“. „Ich bin seit 14 Jahren im Exil, und ich habe gelernt, dass es viele Wege gibt, von außen Einfluss auf China zu nehmen“, schrieb Wang Dan. „Das Internet und die Globalisierung haben das Konzept des Exils an sich verändert.“