Probleme auf allen Ebenen „Es knallt nicht“: Uruguays Kiffer-Premiere mit Hindernissen
Montevideo (dpa) - Die Schlange vor der Apotheke Cáceres in Montevideo irritiert noch viele Uruguayer. Der ein oder andere schüttelt den Kopf, als sich kurz nach Ladenöffnung um acht Uhr immer mehr Menschen vor der Apotheke im Stadtteil Pocitos einreihen.
Hier gibt es nichts geschenkt, sondern nach einem knapp dreiwöchigen Verkaufsstopp wieder Cannabis. Marcos kommt mit seiner kleinen Tochter. Sie kann gerade laufen - und einer ihrer ersten Wege an Papas Hand führt sie in eine der fünf Apotheken in der uruguayischen Hauptstadt, die die getrockneten Blüten verkauft. Nicht als Medikament, sondern als Droge.
„Meine Freunde haben mir bei WhatsApp geschrieben, dass es wieder Cannabis gibt, da sind wir heute Morgen gleich los“, erzählt Marcos. Denn erfahrungsgemäß seien die Tütchen schnell ausverkauft.
Die Nachfrage ist groß, das Angebot gering. Über drei Jahre lang mussten Uruguayer nach Erlassung des entsprechenden Gesetzes darauf warten, bis Cannabis auch in Apotheken angeboten wurde. Im Juli 2017 war der Verkauf von unter staatlicher Aufsicht produziertem Cannabis in 16 Apotheken des Landes gestartet, doch der Erfolg von kurzer Dauer.
Die Umsetzung des Gesetzes stockt. Lieferengpässe lassen viele der registrierten Käufer unversorgt zurück. Das Produkt überzeugt nicht. „Das legale Marihuana knallt nicht“, titelte die Zeitung „El Observador“. Der THC-Gehalt der ersten Sorte des staatlich produzierten Cannabis betrug nur zwei Prozent. Abhilfe soll eine neue Variante mit neun Prozent THC schaffen, das nun verkauft wird.
Marcos, in der einen Hand das neue grüne Folienpäckchen mit fünf Gramm Marihuana, an der anderen Hand seine Tochter, geht nach Hause - nicht ohne den Wartenden noch „mucha suerte“ (viel Glück) zu wünschen. Das Medieninteresse an dem neuen Produkt in ihrem Sortiment ist den Apothekern nicht geheuer. Sie wollen keine Fotos, geben keine Interviews. Die Vorbehalte, neben Hustensaft und Sonnenmilch auch Marihuana anzubieten, waren von Anfang an groß.
„Sie haben durchgesetzt, dass Cannabis unter den gleichen Hygienebedingungen verpackt werden muss wie Medikamente. Das ist natürlich absurd bei etwas, was dann mit Tabak gemischt geraucht wird“, sagt Sebastian Sperling, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Montevideo, die den Prozess seit Jahren begleitet.
Doch das größte und bislang auch ungelöste Problem stellen die Banken dar. Mehrere Finanzinstitute hatten angekündigt, die Konten der Apotheken zu sperren. Viele Banken arbeiten mit Geldinstituten in den USA zusammen, dort ist Cannabis per Bundesgesetz verboten.
„Das ist ein großes Hindernis für die Umsetzung. Das haben wir nicht vorhergesehen“, gibt ein Mitarbeiter der Regulierungsbehörde IRCCA (Instituto de Regulación y Control del Cannabis) zu. Cannabis gibt es deswegen nun nur noch gegen Cash. Nach dem Cannabis-Gesetz können Uruguayer die Droge als Selbstanbauer, in Clubs oder als registrierte Käufer in Apotheken nicht mehr nur legal konsumieren, sondern auch produzieren und erwerben. „Uruguay ist das erste Land, das den gesamten Wertschöpfungsprozess aus staatlicher Hand anbietet. Aber damit traf es auch auf Hürden, mit denen noch nie ein Land zu kämpfen hatte“, sagt Sperling. „Es war von Anfang an kein populäres Gesetz.“
Während die Südamerikaner international als Pioniere der Legalisierung mit Interesse bis Bewunderung beobachtet werden, ist die Skepsis im Land selbst groß. Der Widerstand reicht von der Bevölkerung, von der noch immer rund 50 Prozent gegen das Gesetz sind, bis in die Regierung selbst. Trotz einer Bilanz, die man vorsichtig positiv nennen könnte. „Es gibt Indikatoren, die nahelegen, dass seit der Regulierung weder der Konsum noch die mit Drogen in Verbindung stehende Kriminalität gestiegen ist“, betont Sperling.
Die Forschungsgruppe Monitor Cannabis an der Universidad de la Republica geht von 160 000 gelegentlichen bis regelmäßigen Nutzern aus. „Ungefähr ein Viertel davon ist bereits im legalen System registriert“, sagt Soziologe Martín Collazo. 68 Clubs mit maximal 45 Mitgliedern, 15 200 registrierte Apotheken-Käufer und rund 7500 Selbstanbauer - insgesamt kommt man so auf knapp 35 000 Personen, die im legalen System in Uruguay Cannabis konsumieren.
Dass es einen sogenannten „mercado gris“ (grauen Markt) gibt, weiß auch die Regulierungsbehörde. „Selbstanbauer dürfen bis zu einem Kilogramm pro Jahr ernten. Sicher bleibt dabei etwas übrig. Was macht derjenige damit? Er teilt es mit Freunden. Viele verkaufen es aber auch, das ist noch immer ein Verbrechen“, heißt es von der Behörde. Doch selbst das freundschaftliche Teilen einberechnet: Mehr als die Hälfte aller Konsumenten bezieht die Droge nicht vom legalen Markt.
Ein Grund ist sicher die schleppende Umsetzung des Apothekenverkaufs. Nach dem Start im Juli 2017 hatte sich die Zahl der registrierten Nutzer rasch verdreifacht. Seitdem bleibt die Zahl konstant. „Wenn die Probleme gelöst werden, Cannabis im ganzen Land flächendeckend zugänglich ist und mehrere Sorten im Verkauf sind, steigen auch die Nutzerzahlen wieder“, prognostiziert Sperling.
Es gibt aber auch die Nutzer, die gleich mehrere Varianten nutzen. Camilo ist für den Apothekenverkauf registriert, teilt sich mit einem Freund sechs Pflanzen und wenn alle Stricke reißen, kauft er auf dem Schwarzmarkt. „Das ist zwar teurer, dafür knallt es aber auch.“
Er raucht täglich einen Joint, meist trifft er sich dafür mit Freunden oder, wie er selbst sagt, am liebsten mit Touristen. „Es gibt Cannabis-Kochkurse, manche Restaurants bieten es als Aufmerksamkeit an. Wir sind eben stolz, dass wir das erste Land sind, in dem du völlig frei bist, einen Joint zu rauchen oder selbst anzubauen.“
Weil man keinen Kiffer-Tourismus wie in den Niederlanden will, wo der Verkauf aus einem illegalen Markt in nur geduldeten Coffee-Shops erfolgt, ist der Erwerb für Ausländer in Uruguay noch immer verboten. Ein Umstand, der zwangsläufig zu Problemen führe, sagt auch ein hochrangiger IRCCA-Mitarbeiter. „Der Konsum ist auch für Ausländer nicht illegal. Das Problem ist der Zugang. Während wir unsere Landsleute schützen, lassen wir Touristen immer noch im gefährlichen Bereich zurück.“ Das müsse rasch korrigiert werden.