EU streitet um Reformen für Cameron
Brüssel (dpa) - Bei den Verhandlungen über die von Großbritannien geforderten Reformen ist es beim EU-Gipfel zum erwarteten Streit gekommen. Über mehrere Punkte konnten die Staats- und Regierungschefs in einer ersten Diskussionsrunde keine Einigung erzielen.
EU-Gipfelchef Donald Tusk habe deshalb ein Treffen in kleiner Runde mit dem britischen Premier David Cameron und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach dem Abendessen angesetzt, berichteten EU-Diplomaten.
Cameron drohte beim EU-Gipfel mit einem Eklat. Falls es keine „echten Fortschritte“ bei den Verhandlungen gebe, werde er notfalls auch ohne Vereinbarung nach Hause fahren. Das berichtete die Nachrichtenagentur PA unter Berufung auf Quellen in der Regierung. Cameron habe das den anderen Staats- und Regierungschefs mitgeteilt. Er habe sie aufgefordert, einer Vereinbarung nach dem Motto „leben und leben lassen“ zuzustimmen.
Juncker hatte schwierige Verhandlungen vorhergesagt. Es gebe noch erheblichen Gesprächsbedarf, sagte er kurz vor Beginn des Gipfels. Am Ende des Tages werde die Sache aber gelaufen sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, sie werde alles dafür tun, „dass Großbritannien ein Teil der Europäischen Union bleiben kann“.
Grund für die EU-Reformpläne ist das Vorhaben des britischen Premierministers David Cameron, ein Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königsreiches in der EU zu organisieren. Deutschland und die anderen EU-Partner hoffen, dass sie die Briten mit einem Entgegenkommen dazu bringen können, bei der Abstimmung Ja zur EU zu sagen.
Überschattet wurden die Spitzengespräche in Brüssel von neuem Streit über die europäische Flüchtlingspolitik. Die EU-Kommission warf Österreich vor, mit Obergrenzen für die Aufnahme von Schutzsuchenden gegen europäisches Recht zu verstoßen. Folge könnte eine Klage gegen die Alpenrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof sein.
Die Verhandlungen über die britischen EU-Reformforderungen wurden nach Angaben von Diplomaten von Diskussionen über Details bestimmt. Offen war bis zuletzt zum Beispiel, wie lange es Großbritannien erlaubt werden solle, eine geplante „Notbremse“ zu ziehen. Damit will die Regierung in London zugewanderten EU-Bürgern bestimmte Sozialleistungen für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vorenthalten. Das Vorhaben wird mit einer außergewöhnlich Zuwanderung von EU-Bürgern nach Großbritannien begründet.
Als weiteres Streitthema galten Details einer geplanten Neuregelung zum Kindergeld. Diese soll es Großbritannien, aber auch allen anderen EU-Staaten ermöglichen, Zahlungen für im Ausland lebende Kinder an die Lebenshaltungskosten im Aufenthaltsland des Kindes anzupassen.
London forderte bis zuletzt, dass die Regelung sofort auf alle Kindergeldzahlungen angewendet werden kann. Mittel- und osteuropäische Staaten wollen dagegen, dass die Neuregelung erst bei Neuanträgen fällig wird.
In Großbritannien arbeiten viele Polen und Tschechen, deren Familien weiter in der Heimat leben. Diese sollen nach Willen der Regierung in Warschau und Prag nicht unter den Plänen leiden. Keine Einigung gab es zunächst auch über Vorschläge, nationalen Parlamenten stärkere Einspruchmöglichkeiten gegen EU-Vorhaben einzuräumen.
Keine weitreichenden Beschlüsse wurden vom EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise erwartet. Nach einem Entwurf für die Abschlusserklärung wollten die EU-Staats- und Regierungschefs lediglich erneut bessere Grenzkontrollen und ein Ende der „Politik des Durchwinkens“ fordern.
Ein am Rande des Gipfels geplantes Sondertreffen einiger Staaten mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu musste wegen des jüngsten Anschlages in Ankara abgesagt werden. Mit Davutoglu sollte eigentlich über bessere Kontrollen an der Grenze zum EU-Land Griechenland geführt werden.
Der EU-Türkei-Aktionsplan zur Sicherung der Außengrenze, zum Kampf gegen Schlepper und für legale Wege der Migration werde weiter umgesetzt, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gipfel. Nur eine gesamteuropäische Politik könne eine Lösung bringen.
Indirekt kritisierte sie damit auch die einseitig von Österreich getroffene Entscheidung, künftig nur noch eine begrenzte Zahl von Asylanträgen pro Tag zu bearbeiten.
Die EU-Kommission hatte daran zuvor scharfe Kritik geübt. Diese Begrenzung sei nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Konvention sowie mit Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta vereinbar, schrieb EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos nach Wien.