Europa beschwört die Griechen: Sagt „Ja“ zum Sparpaket
Athen (dpa) - Mit flammenden Appellen will Europa die Griechen doch noch auf ein Ja zum Spar- und Reformpaket der Geldgeber einschwören. „Ein „Nein“ würde ein Nein zu Europa heißen“, sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Brüssel mit Blick auf das für Sonntag angekündigte Referendum.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versicherte, man werde sich weiteren Verhandlungen nicht verschließen, wenn Athen nach der Volksabstimmung darum bitten sollte: „Wenn jemand mit uns sprechen möchte, sind wir jederzeit bereit zu sprechen.“ Griechenland droht die Staatspleite, Banken und Börse wurden geschlossen. Der international befürchtete Börsencrash blieb am Montag jedoch aus, es gab aber deutliche Kursverluste.
Juncker sagte angesichts des Dienstagnacht auslaufenden Rettungsprogramms für Griechenland: „Es ist nicht so, dass wir endgültig in einer Sackgasse feststecken würden. Aber die Zeit wird immer knapper.“ Mit dem Auslaufen entgehen Athen vorerst weitere Hilfen, die angesichts leerer Staatskassen dringend benötigt würden.
Damit kann das hochverschuldete am Dienstag auch nicht die fällige Rückzahlung über 1,54 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) leisten. „Griechenland hat angekündigt, den IWF nicht zu bezahlen, damit entfällt jede künftige Zahlung durch den IWF“, sagte Schäuble am Montagabend im ARD-„Brennpunkt“. Der IWF in Washington wollte den Ausfall nicht kommentieren. Unmittelbare Konsequenzen seitens des IWF drohen Athen allerdings zunächst nicht.
Ministerpräsident Alexis Tsipras bestätigte den Ausfall der Zahlung am Montagabend in einem Interview des griechischen Staatsfernsehens. Die Rate werde nicht gezahlt, wenn es nicht über Nacht noch eine Einigung mit den internationalen Gläubigern gebe. „Lass sie (unseren Vorschlägen) zustimmen, und wir werden am Morgen zahlen“, sagte Tsipras.
In Griechenland bleiben Banken und Börse bis Anfang kommender Woche geschlossen. In den vergangenen Tagen hatten immer mehr verängstigte Bürger Bargeld abgehoben und damit die Geldhäuser in Schwierigkeiten gebracht. An Geldautomaten dürfen Griechen seit Montag maximal 60 Euro pro Tag abheben, für ausländische Bankkarten soll die Beschränkung aber nicht gelten. Dennoch riet das Auswärtige Amt deutschen Griechenland-Besuchern bereits am Sonntag, ausreichend Bargeld mitzunehmen.
Tsipras bat erneut um eine kurzfristige Verlängerung des Hilfsprogramms „um ein paar Tage“. Diese Bitte wird aber von den EU-Staats- und Regierungschefs abgelehnt, wie Gipfelchef Donald Tusk an Tsipras schrieb. Tusk wies demnach darauf hin, dass Griechenland neue Hilfen beantragen könne. Nach Schäubles Worten würden Verhandlungen dann aber „ganz von vorne“ anfangen, „denn dieses Programm, das wir hatten, endet morgen (Dienstag) Abend, und dem ist dann auch die Grundlage entzogen.“
Tsipras hatte für diesen Sonntag (5.7.) überraschend eine Volksabstimmung über die Reformvorschläge der Gläubiger Griechenlands angekündigt und die Europartner so vor den Kopf gestoßen. Daraufhin scheiterten am Samstag die Verhandlungen der Euro-Finanzminister mit Athen.
Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) quittierte die angekündigte Volksabstimmung, indem sie die Kreditwürdigkeit des Landes um eine Stufe auf „CCC-“ senkte. Damit sieht S&P nun eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Zahlungsfall Griechenlands.
Juncker äußerte sich persönlich enttäuscht über Tsipras. Dieser habe ihn in stundenlangen Verhandlungen nicht darüber informiert, eine Volksabstimmung abhalten zu wollen. „Das kam für mich als eine Überraschung.“ Juncker sagte, er habe alles getan, um einen Kompromiss zu ermöglichen. Wörtlich sagte er, er fühle sich von der griechischen Regierung während der Verhandlungen „verraten“.
Einen „Grexit“, also einen Austritt Griechenland aus dem Eurogebiet, lehnte der frühere Eurogruppenchef erneut ab. Das sei für ihn nie eine Option gewesen. „Sie wissen gut, dass die Griechen meinem Herzen sehr nahe stehen“, sagte er zu Medienvertretern.
SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sagte, die Abstimmung am Sonntag werde darüber entscheiden, ob Griechenland im Euro bleibe oder nicht. Den Griechen müsse die Tragweite bewusst sein: „Es ist im Kern die Frage, Ja oder Nein zum Verbleib in der Eurozone.“
Frankreich zeigte sich wie Deutschland zur Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Athen bereit. Er wünsche sich, dass die Gespräche weitergeführt würden, sagte Frankreichs Präsident François Hollande in Paris.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) warb wie zuvor Juncker für ein „Ja“ der Griechen. „Ich kann nur empfehlen, dass das griechische Volk mit Ja stimmt“, sagte Schulz in Brüssel. Er forderte die EU-Staaten im Namen der Vorsitzenden aller Fraktionen im EU-Parlament auf, bis Dienstagabend eine Vereinbarung mit Griechenland zu finden.
Die Stimmung an den Finanzmärkten erlebte am Montag einen kräftigen Dämpfer. Zum Handelsauftakt an den europäischen Börsen rutschten die Kurse tief ins Minus, erholten sich dann aber wieder etwas. In Athen hatte die Börse gar nicht erst aufgemacht. Der deutsche Leitindex Dax rutschte zum Start um mehr als vier Prozent ab, zum Handelsschluss lag der Rückgang im Vergleich zum Freitag bei gut drei Prozent. Der Euro-Wechselkurs konnte sich fangen; er lag zuletzt bei rund 1,12 Dollar und machte seine Tagesverluste damit mehr als wett.
Tsipras rief seine Landsleute zur Besonnenheit auf. „Geldeinlagen in griechischen Banken sind absolut sicher“, sagte er. Gehälter und Renten seien „garantiert“. In den kommenden Tagen seien Geduld und Gelassenheit nötig. Die kritische Situation könne überwunden werden. Zuvor hatte mit Zypern erst ein Euroland jemals Kapitalverkehrskontrollen verhängt. Als Auslöser für die Bankschließungen und Kapitalverkehrskontrollen gilt der Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Sonntag, die Notkredite für griechische Banken zunächst einzufrieren.