Fall Breivik: Protokoll eines Massenmords
Oslo (dpa) - Es war einer der härtesten Tage im Osloer Terrorprozess: Äußerlich vollkommen ungerührt hat der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik am Freitag seinen Massenmord auf der Fjordinsel Utøya beschrieben.
Er berichtete von jedem Opfer, an das er sich erinnerte. Um die Attentate mit 77 Toten durchzustehen, habe er sich emotional total abgekapselt, sagte er. Deswegen sei er jetzt auch zurechnungsfähig. „Man muss gefühlsmäßig abgestumpft sein, das muss man trainieren“, erklärte Breivik. Bis 2006 sei er ein normaler Mensch gewesen. Danach habe er sich über mehrere Jahre „entmenschlicht“ und alle Emotionen abgelegt. „Ich fühle eine große Liebe für dieses Land. Das ist nicht normal, aber so bin ich.“
Mord für Mord erklärte er vor Gericht, wie er auf Utøya 69 Jugendliche und Erwachsene erschossen hatte. „Jetzt oder nie“, habe er sich gedacht, als er als Polizist verkleidet auf der Insel gestanden habe. Als erstes habe er die Betreuerin des Ferienlagers getötet. Danach sei er in einen Schockzustand gefallen und erinnere sich an wenig.
Dennoch berichtete Breivik detailliert und distanziert von weiteren Morden. Er habe so viele Menschen hinrichten wollen wie möglich. Viele Angehörige hatten im Gerichtssaal die Augen geschlossen, die Hand vor den Mund geschlagen, blieben jedoch im Raum, um Breivik weiter zuzuhören.
Er habe nach seinem Massaker kurz an Selbstmord gedacht, berichtete der 33-Jährige. Er habe überlegt, sich selbst in den Kopf zu schießen, dies aber verworfen, um aus dem Gefängnis heraus weiter kämpfen zu können. Er habe sich telefonisch ergeben wollen, sei bei der Polizei aber nicht durchgekommen. Bei einem zweiten Anruf habe er sich nicht ernst genommen gefühlt. Daher habe er weiter gemordet.
Er habe auch Angst gehabt, sagte Breivik. „Wenn eine Gruppe versucht hätte, Widerstand zu leisten, hätte sie das einfach geschafft.“ Eigentlich habe er so wenig wie möglich schießen wollen, sondern vielmehr die Jugendlichen ins Wasser scheuchen, wo sie ertrinken sollten. Zweimal habe er gerufen: „Ihr werdet heute sterben, Marxisten.“
Inspirieren ließ sich Breivik vor seinen Attentaten nach eigener Aussage von der Terrororganisation Al-Kaida. „Ich habe viel von Al-Kaida gelernt.“ Das Terrornetz sei so erfolgreich, weil es „Märtyrer“ (Selbstmordattentäter) einsetze. Andere Organisationen hätten die Schwäche, dass sie den Tod fürchteten. Er habe eine Art „Al-Kaida für Christen“ schaffen wollen, sagte Breivik.
Er sei sich vollkommen bewusst, unfassbares Leid ausgelöst zu haben, sagte der 33 Jahre alte Attentäter ohne Reue. Er habe das Leben der Angehörigen und Hinterbliebenen zerstört. „Ich kann nicht behaupten, dass ich ihr Leid verstehe. Wenn ich das versuchen würde, könnte ich hier nicht sitzen. Dann könnte ich nicht weiterleben.“
Die Attentate habe er nur durchstehen können, weil er sich emotional abgekapselt habe. Breivik hält sich für voll schuldfähig. Er sei schockiert gewesen, als er das erste psychiatrische Gutachten gelesen habe, das ihm paranoide Schizophrenie bescheinigt. Zwar sei es schwer zu begreifen, dass jemand so extrem und fundamentalistisch sein könne, gab er zu. „Es ist leicht zu denken, das ist Wahnsinn. Aber es gibt einen Unterschied zwischen politischer Gewalt und Wahnsinn im medizinischen Sinne.“ Dem Gericht liegen zwei widersprüchliche psychiatrische Gutachten über den Geisteszustand Breiviks vor. Im ersten wird er als paranoid-schizophren und damit schuldunfähig, im zweiten als voll zurechnungsfähig und nicht psychotisch bezeichnet. Die Frage der Zurechnungsfähigkeit entscheidet darüber, ob der 33-Jährige für 21 Jahre ins Gefängnis oder in eine psychiatrische Anstalt kommt.
Breivik ist wegen Terrorismus und vorsätzlichen Mordes angeklagt. Auch am kommenden Montag soll er noch einmal befragt werden. Danach will das Gericht Zeugen hören. Das Urteil wird im Juni oder Juli erwartet.