Flüchtlingsdrama in der Ägäis - Tsipras: Ich schäme mich
Lesbos (dpa) - Die Ägäis wird zum Grab für immer mehr Flüchtlinge. Allein in der Nacht zum Freitag kamen vor den griechischen Inseln erneut mindestens 22 Menschen ums Leben. Damit sind in den ersten zehn Monaten 2015 bereits 3329 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken.
Das sind mehr als im gesamten Jahr 2014 (3279 Tote), wie die Internationale Organisation für Migration mitteilte. Für das Wochenende sagt der staatliche griechische Wetterdienst für die Ostägäis Sturm und starken Seegang voraus. Helfer auf Lesbos befürchten, dass die Zahl der Toten weiter steigen wird.
„Nachts ist es besonders schlimm, dann wird der Wind noch stärker“, sagt der Brite Faruk Divelli. „Wir entzünden Feuer am Strand, damit die Flüchtlinge sehen, wo sie hinsteuern müssen.“
Wenn die Menschen das rettende Ufer erreichen, spielen sich dramatische Szenen ab, berichtet der 48-jährige. „Sie sind durchnässt, unterkühlt und traumatisiert, wir haben halbtote Kinder von den Booten geholt, mit Wasser in der Lunge. Und wir haben nicht einmal genug Rettungsdecken, Wasser und Medikamente für sie.“
Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras schlug vor, die Registrierungszentren (Hotspots) von den griechischen Inseln in die Türkei zu verlagern, damit die Menschen nicht die gefährliche Reise auf sich nehmen müssen. Im Parlament zeigte er sich am Morgen tief betroffen von den wiederholten Bootsunglücken. „Als Mitglied der Führung Europas schäme ich mich.“ Das eine Land schiebe das Problem dem anderen zu, die Wellen spülten nicht nur tote Migranten, sondern auch die europäische Kultur an Land.
Divelli und seine Mitstreiter sind als Privatleute angereist, sie kommen aus Bolton bei Manchester. Innerhalb einer Stunde hat die Gruppe am Vormittag bereits drei überfüllte Boote mit jeweils rund 40 Flüchtlingen geborgen und die Menschen notdürftig versorgt. Die Gemeinde in der Heimat unterstützt die Initiative, aus Bolton sollen in den nächsten Tagen 22 Paletten mit Hilfsmitteln angeliefert werden.
Fassungslos ist Divelli über die Tatsache, dass vor Ort auf Lesbos nur Privatleute und Nichtregierungsorganisationen helfen. „Man sieht keine staatlichen Helfer, nur Freiwillige aus aller Herren Länder.“
Flüchtlinge berichteten den Helfern in der Nacht, sie hätten beobachtet, wie ein Boot mit rund 200 Menschen kenterte und die Menschen ertranken. „Solche Geschichten hören wir immer wieder, ich bin sicher, dass viele Tote überhaupt nicht erfasst werden“, sagt Divellis Mitstreiter Khalid Mehmood. Auch von den anderen Helfern vor Ort glaubt niemand an die offiziellen Zahlen.