Boot gekentert Flüchtlingstragödie vor Libyen: Mehr als 90 Tote befürchtet
Genf (dpa) - Wieder eine Flüchtlingstragödie vor der Küste Libyens: Ein Boot mit mehr als 90 Menschen ist dort nach Angaben der Organisation für Migration (IOM) gekentert.
Sie fürchtet, dass die meisten Flüchtlinge und Migranten an Bord umkamen, wie IOM-Sprecherin Olivia Headon aus der tunesischen Hauptstadt Tunis berichtete.
Es gebe nach ersten Berichten nur drei Überlebende: zwei seien an Land geschwommen, ein weiterer sei von Fischern gerettet worden. Zehn Leichen seien an der Küste angespült worden. Das Meer sei ruhig gewesen, ein wetterbedingter Unfall deshalb unwahrscheinlich, sagte Headon. Das Boot sei aber nach Angaben der Überlebenden sehr voll gewesen. Es könne sein, dass es aus dem Gleichgewicht geraten sei.
An Bord waren nach Angaben der Überlebenden vor allem Menschen aus Pakistan. Zwei der Überlebenden seien Pakistaner, ebenso acht der tot Geborgenen, berichtete Headon. Bei einem Such- und Rettungseinsatz vor der Hafenstadt Zuwara im Nordwesten Libyens wurden nach Angaben der IOM zunächst keine weiteren Überlebenden gefunden.
Die EU werde die Rettung von Flüchtlingen in Seenot und den Kampf gegen Schlepper fortsetzen, sagte EU-Sprecherin Catherine Ray in Brüssel in einer ersten Reaktion. „Jedes verlorene Menschenleben ist eins zu viel.“
Seit dem Frühsommer 2015 läuft die EU-Operation „Sophia“ vor der Küste Libyens. Mehr als 45 000 Menschen wurden nach Angaben des Inspekteurs der Deutschen Marine schon in Sicherheit gebracht, darunter 22 000 durch deutsche Soldaten. Mehr als 117 mutmaßliche Schleuser seien nach Hinweisen von „Sophia“-Einheiten festgenommen und über 460 Boote zerstört worden, hieß es Ende 2017.
Schon am vergangenen Wochenende waren wahrscheinlich bis zu 37 Menschen ums Leben gekommen, als ihr Boot vor Zuwara leck schlug. An Bord waren nach Angaben der IOM etwa 135 Menschen. Rund 100 wurden gerettet. Zwei Leichen seien geborgen worden, zudem sei eine gerettete Frau auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Die Überlebenden seien am Donnerstag auf der italienischen Mittelmeerinsel Sizilien angekommen.
Im Januar kamen nach IOM-Angaben mindestens 246 Flüchtlinge und Migranten bei der Flucht über das Mittelmeer ums Leben, verglichen mit 254 im Januar des vergangenen Jahres. Insgesamt sind im Mittelmeer seit 2014 jedes Jahr mehr als 3000 Flüchtende umgekommen.
Die Zahl der Pakistaner hat auf dieser Flüchtlingsroute in diesem Jahr rasant zugenommen. Warum, konnte Headon nicht sagen. 240 Pakistaner kamen nach ihren Angaben in diesem Jahr bereits in Italien an, im Januar 2017 waren es nur neun. Nach Migranten aus Eritrea und Tunesien stellten sie die größte Gruppe im Januar. Insgesamt seien im Januar mehr als 6600 Flüchtlinge über das Mittelmeer in Europa angekommen, etwa 600 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.