Indiens Frauen kämpfen gegen sexuelle Gewalt

Nach der Vergewaltigung einer Medizinstudentin gehen Tausende auf die Straße.

Neu Delhi. „Kein Land für Frauen“ steht auf dem Schild einer Demonstrantin. Tausende Inderinnen sind in der Hauptstadt Neu Delhi auf die Straße gegangen, weil sie genug haben von der Machogesellschaft, vom Begrapschen und der sexuellen Gewalt. Die Demonstrantinnen ließen sich kaum aufhalten von Wasserwerfern und Tränengas, als sie auf den Präsidentenpalast zumarschierten. Auslöser für die Proteste, die auch auf andere Städte Indiens übergriffen, war die brutale Gruppenvergewaltigung einer 23-Jährigen.

Doch wie so oft in Indien suchten einige auch diesmal eine Mitschuld beim Opfer. Warum war sie abends noch unterwegs? Warum fuhr sie mit dem Bus? War sie zu aufreizend gekleidet? Das bringt die Demonstranten auf die Palme. „Sag mir nicht, wie ich mich anziehen soll. Sag ihnen, niemanden zu vergewaltigen“, fasst es eine Frau zusammen.

Viele Mütter begleiteten ihre Kinder. „Wir haben Angst, unsere Töchter abends aus dem Haus zu lassen“, sagt die Lehrerin Savita Rao. „Es sind heute so viele Polizisten hier, die versuchen, uns zu vertreiben. Warum können sie nicht die Stadt sicherer für unsere Mädchen machen?“ Zu den spontanen Demonstrationen kommen vor allem Mitglieder der Mittelschicht, die sich mit dem Opfer identifizieren können. Am Fall der 23-Jährigen entzündete sich der Protest, obwohl die Zeitungen jeden Tag voll von Vergewaltigungsfällen sind — doch sind diese Opfer oft Dalits (Unberührbare). Nun aber traf es eine Studentin. Sie wurde zu ihrem Symbol.

Indiens Frauen fühlen sich verraten, sagt Akhila Sivadas, Sprecherin der Interessengruppe CFAR. „Jeder merkt, dass das System, das Frauen beschützen sollte, komplett versagt hat.“ 24 206 Vergewaltigungen gab es im vergangenen Jahr in Indien. Offiziell. Denn in einer Gesellschaft, in der die Ehre der Familie meist höher bewertet wird als das Elend eines Mädchens, dürfte die Dunkelziffer noch viel höher liegen.

Und selbst wenn Täter angezeigt werden, müssen viele nur theoretisch die Höchststrafe einer lebenslänglichen Haft fürchten. Die Fälle werden oft über Jahre verschleppt und am Ende wird nach offiziellen Zahlen nur etwa ein Viertel der Angeklagten verurteilt. Die Frauen fordern schnelle und effektive Prozesse. „Wir wollen Gerechtigkeit.“ Und sie wollen noch mehr: „Wir wollen keine Angst mehr haben.“