Kritik Leere Worte auf der Freiheitsstatue? - Die USA und die Flüchtlinge
Die Antwort des Sprechers im Weißen Hauses ist so deutlich wie knapp. „Europa hat die Kapazität, dieses Problem selber zu lösen“, sagt Josh Earnest zur Flüchtlingslage bei den Verbündeten. Migration ist ein hochsensibles US-Thema in diesen Wochen, doch es tut sich was.
Washington (dpa) - Auf dem Sockel der Freiheitsstatue vor den Toren New Yorks steht die ergreifende Inschrift: „Schickt mir eure erschöpften, verarmten und zusammengedrängten Massen, die sich danach sehnen, frei zu atmen.“ Jetzt wäre ein passender Moment, dass sich die stolze US-Nation an den Appell ihrer Vorväter erinnert. Doch bei allem Leid der Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas verhält sich die US-Regierung auffällig passiv. Ein Erklärungsversuch:
Die Amerikaner sind stolz darauf, Millionen von Unterdrückten und Verfolgten eine Heimat gegeben zu haben. Warum halten sich die USA bei den Syrern und anderen aus der Region derzeit so zurück?
Einwanderung ist in den USA momentan ein hochsensibles Thema. Im Präsidentschaftswahlkampf macht der republikanische Kandidat Donald Trump Stimmung mit der Forderung, Millionen von Latino-Einwanderern ohne Dokumente auszuweisen und eine Mauer zu Mexiko zu bauen. Mit solchen Forderungen hat er es in Umfragen an die Spitze gebracht.
Wieso nimmt die Weltmacht als demonstrative Geste des guten Willens nicht einige Zehntausend Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf?
Wegen der Anti-Terror-Gesetze ist das Verfahren zur Anerkennung von Flüchtlingen kompliziert. Für Menschen aus dem Nahen Osten dauert die Überprüfung vor Ort Monate und manchmal auch Jahre. Dies wird mit der Sorge vor islamistischen Terroristen begründet.
Sind die Amerikaner auch bei notleidenden Menschen aus anderen Ländern so rigoros?
Nicht unbedingt. Im letzten Jahr erhielten immerhin 70 000 Flüchtlinge die Erlaubnis zur Einreise. Darunter waren allerdings lediglich 1500 Syrer, obwohl der Bürgerkrieg in dem Land schon sehr viel länger dauert. Das Weiße Haus betont, die USA seien immerhin der mit Abstand wichtigste Geldgeber für das UN-Flüchtlingshilfswerk.
Die USA müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, Verantwortung für die derzeitigen Verhältnisse in der Krisenregion zu tragen. Zurecht?
Im Irak und Afghanistan haben die USA über viele Jahre Krieg geführt und jeweils einen Machtwechsel herbeigeführt. Bis heute herrschen in beiden Ländern äußerst instabile Verhältnisse. Ein Vorwurf lautet, dass die USA nach dem Sturz des Regimes von Ex-Präsident Saddam Hussein im April 2003 entscheidende Fehler gemacht hätten, die bis heute nachwirkten.
Saddam begründete seine Macht auf den sunnitischen Stämmen, die wiederum das Offizierskorps und die regierende Baath-Partei dominierten. Die Partei wurde nach dem Sturz des Diktators aufgelöst, und die Offiziere mussten weitgehend den Dienst quittieren. Sunniten fühlten sich an den Rand gedrückt und benachteiligt.
Viele gingen in den Widerstand. Sunniten sind heute auch das Rückgrat der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die Republikaner werfen Präsident Barack Obama vor, die US-Truppen viel zu früh aus beiden Ländern abgezogen zu haben.
Weshalb gibt man den USA eine Mitschuld an den Verhältnissen in Syrien, obwohl das Pentagon dorthin keine Truppen geschickt hat?
Das ist aus Sicht mancher Kritiker gerade das Problem. Obama hatte Syriens Machthaber Baschar al-Assad Konsequenzen angedroht, sollte jener die „Rote Linie“ überschreiten und Chemiewaffen einsetzen. Letzteres geschah, aber ein militärisches Eingreifen gegen das von Russland und dem Iran unterstützte Regime blieb aus.
Halten sich die USA völlig aus dem syrischen Bürgerkrieg heraus?
Nein, US-Kampfjets greifen Stellungen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien und dem Irak an. Die Air Force lässt allerdings die Assad-Truppen in Frieden, selbst wenn letztere Zivilisten in Städten bombardieren.
Lassen die Berichte über das Leiden der Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa die Amerikaner etwa kalt?
Ganz im Gegenteil. Wie überall auf der Welt hat das Foto vom ertrunkenen syrischen Jungen auch in den USA viele Menschen aufgerüttelt. Die erschütternden Fotos von der türkischen Küste waren über Tage in den Nachrichten der Nachrichtensender. Auch die jüngsten Bilder von der Ankunft der Flüchtlinge in Deutschland und die applaudierenden Helfer sind zu sehen.
Was hat das bewirkt?
Politiker aus der zweiten Reihe und liberale Kommentatoren verlangen von Präsident Obama, endlich aktiver in der Flüchtlingsfrage zu werden. Der demokratische Präsidentschaftsbewerber Martin O'Malley hat einen Aufruf gestartet und an das „großzügige und mitfühlende Volk der Amerikaner“ appelliert. Seine Forderung: 65 000 Syrer bis Ende 2016 aufnehmen. Auch mehrere Senatoren haben Obama geschrieben.
Wäre es nicht auch eine gute Gelegenheit für Hillary Clinton, mit einem ergreifenden Appell für Flüchtlinge ihren bislang schleppend verlaufenden Wahlkampf in Schwung zu bringen?
Das sieht die längst nicht mehr so strahlende Favoritin der Demokraten offenbar anders. Auf eine solche Interview-Frage blieb sie betont zurückhaltend und forderte nur ganz allgemein internationale Bemühungen zur Lösung der Krise.
Und wie reagiert Donald Trump? Tritt er etwa auch so kaltherzig auf wie bei den Millionen von Latino-Einwanderern ohne Dokumente?
Der Milliardär ist immer für eine Überraschung gut. Ende letzter Woche zeigte auch Trump Mitgefühl. Auf die Frage eines Journalisten, ob es nicht Zeit für die USA sei, direkt zu helfen, antwortete Trump: „Wir haben zwar selbst so viele Probleme, aber die Antwort sollte vielleicht doch „Ja“ lauten.“