Was niemand kommen sah Ein Jahr Donald Trump: Die unglaublichste Wahl
Washington (dpa) - Jäh stürzte die Kurve ab, brutal und ungebremst. Über Monate war die Demokratin Hillary Clinton als todsichere Siegerin der US-Wahl beschrieben worden. Auf 85 Prozent taxierte die viel beachtete „New York Times“-Kurve diese Wahrscheinlichkeit.
Donald Trump, Ex-Reality-TV-Star und schwerreicher Bauunternehmer, dümpelte für die Republikaner bei 15 Prozent. Soweit die öffentliche Wahrnehmung zu Beginn dieser historischen Nacht vom 8. auf den 9. November 2016. Dann sank die 85-Prozent-Kurve ins Bodenlose. Kurz darauf war Trump gewählt: Frei von jeglicher politischer Erfahrung, sollte er 45. Präsident der Vereinigten Staaten werden.
Die Geschichte dieses Wahltages ist eine der Irrtümer, der falschen Annahmen und des Wünsch-Dir-Was. Außerdem geht es um massive Versuche der Wahlbeeinflussung aus einem fremden Land und die Frage, welche Rolle eigentlich das FBI für den Wahlausgang spielte.
Mit sehr, sehr wenigen Ausnahmen hatte niemand Trumps Sieg kommen sehen. Als der Unternehmer am 16. Juni 2015 die goldene Rolltreppe seines Trump-Towers herab schwebte und seine Kandidatur bekanntgab, gab es kaum mehr als Gespött. Witze über den Haarhelm des Polit-Laien waren Legion, über seinen orange aufgesprühten Teint, sein Haifischlächeln, die Grimassen. Dann begann er, in ungeahnter Brutalität alle Regeln zu brechen, und bald wurden die Witze leiser.
Von Beginn an und bis zur Wahl dominierte Trump alle wesentlichen Umfragen. Sein Zug durch die Vorwahlen war ein einziger Durchmarsch. Prominenteste Republikaner, die vergebens warteten, der zeternde Mann werde sich schon normalisieren, räumte er rücksichtslos ab. Gekrönt auf dem Parteitag von Cleveland ging er mit besten Werten auf die Zielgerade zum Wahltag. Ernst genommen wurde er immer noch nicht.
Am Ende einer historischen Wahlnacht standen 304 Wahlleute für Trump und nur 227 für Clinton. Dass sie gut zwei Prozent mehr Stimmen erhielt als ihr Gegner, ist nicht nur Ausweis eines altertümlichen Wahlsystems, sondern auch Beleg für die tiefe Zerrissenheit der USA. Und Trump, der wenig schlechter kann als verlieren, wurmt diese Stimmniederlage bis heute.
Staunend und ungläubig verfolgte die Welt, wie Trump auf seinem Weg ins Oval Office hetzte und prahlte, log, wütete und die Realität so bog wie kein Kandidat vor ihm. Er riss so ziemlich jedes politische Tabu ein, überschritt jede Grenze. Immer, wenn man dachte, das überlebt er jetzt politisch nicht, völlig unmöglich, wurde er nur noch stärker. Er prahlte sexistisch, äußerte sich rassistisch, nationalistisch, verspottete Juden, Behinderte, Migranten - nichts konnte ihm schaden.
Mit nacktem Populismus hatte Trump im Volk einen Nerv getroffen, eigentlich sogar ein ganzes Bündel. Gnadenlos und geschickt nutzte er Ängste vor der Globalisierung und ihre echten Probleme. Wie sehr und wie erfolgreich, wurde monatelang übersehen, weil viele Konkurrenten und noch sehr viel mehr Berichterstatter an den falschen Orten zuhörten. Und weil viele dachten, dass die Liberalität und die Buntheit der Jahre unter Barack Obama eingeprägt seien in der DNA der USA. Sie irrten sich.
Trump gewann diese Wahl auch, weil er gegen das Establishment antrat, mit aller Vehemenz, als Demagoge. Viele Amerikaner hassen Washington als säulenbestandenes Symbol systemischer Unbeweglichkeit, und die jahrelange Politik der winzigen Schritte ist ihnen ein Graus. Da trat der vermeintlich so überaus erfolgreiche Anti-Politiker an zum Aufräumen und „Austrocknen des Sumpfes“. Er schwärmte, wie sehr die USA von früher die besseren gewesen seien - und überzeugte ausreichend viele in den richtigen Staaten. Sein Bild der USA als einer Art früher Südstaat, nur mit besseren Waffen, es verfing.
Trotzdem wäre diese Wahl womöglich ganz anders ausgegangen, wäre Hillary Clinton nicht die falscheste Kandidatin zur falschesten Zeit gewesen. Kein Aufbruch, keine Frische, keine Aussicht auf Neuanfang. Ein Wahlkampf wie vom Reißbrett, viele Millionen schwer, eine Armee an Helfern. Und doch eine Kandidatin von gestern.
In der Nacht zum 9. November hat Clintons Brandmauer blauer, demokratischer Staaten nicht gehalten. Sie verlor den Rust Belt alter Industriestaaten, Michigan, sogar Wisconsin. Die Demokraten werden noch lange aufzuarbeiten haben, wie sehr ihnen diese eisern festgehaltene Clinton-Kandidatur und ein Abdrängen des Linken Bernie Sanders geschadet haben: strukturell, finanziell, personell und inhaltlich.
Die Aussicht auf die erste Frau an der Spitze der erschöpften Supermacht, sie reichte einfach nicht aus. Wenige Figuren polarisieren in den USA so sehr wie Clinton. Trumps Team kanalisierte den Hass ohne Gnade, und die Kandidatin machte Fehler. Dass der damalige FBI-Chef James Comey dann kurz vor der Wahl Abgeordneten mitteilte, in der Affäre der Ex-Außenministerin würden weitere E-Mails untersucht, dürfte die Wahl mitentschieden haben, entscheidende Stimmen wanderten ab.
Wer Trump wählte, war immer mehr Teil einer Bewegung als seiner republikanischen Partei. Dass er autokratische Anwandlungen offenbarte, Nationalisten und Ultrarechte begeisterte, auch das störte sie nicht. Von sehr vielen weißen Arbeitern wurde Trump gewählt, wenn auch seine Anhängerschaft diverser war und es bis heute ist.
In Trump saß in diesem historischen 2016 zum ersten Mal auch ein Kandidat im Kommandostand der sozialen Medien. Lustvoll feuerte er seine Twittersalven ab, Herr und Vorbild für eine Welt voller Trolle. Inhaltliche, sachliche Auseinandersetzungen, Zivilität und ein Wettstreit um Ideen - das war plötzlich alles so 20. Jahrhundert.
Ob und wie Trumps Team mit Russland bei einer Wahlbeeinflussung zusammengearbeitet hat, wird bis heute intensiv untersucht. Belegt ist der Versuch, die Wahl via Facebook zu beeinflussen: Von Russland aus wurden in den zwei Jahren von Juni 2015 bis August 2017 Anzeigen geschaltet, die 126 Millionen Nutzer in den USA erreichten. Kurz vor dem Wahl-Jahrestag gestand Facebook vor dem US-Kongress zerknirscht eine „schmerzliche Lektion“ ein, das kam vielleicht etwas spät.
Diese Wahl war ein grundstürzendes Ereignis nicht nur für die USA. Sie hat das Land und die internationalen Beziehungen zutiefst verändert, wenn sie auch manche angelegten Linien nur weiterzog. Trump ist heute der berühmteste Mensch der Welt, und wo das alles enden wird, kann niemand sicher sagen.